: Ein unmöglicher Selbstmord
Seit vier Jahren bemühen sich die Eltern und Freunde des erhängt aufgefundenen Hackers Tron vergeblich um die Aufklärung seines Todes. Ein Beweisstück, das die Polizei selbst sichergestellt hat, soll nun zur Wiederaufnahme der Ermittlungen führen
von ERIK MÖLLER
Anfang März holten die Eltern des toten Boris F., besser bekannt als Hacker unter dem Namen „Tron“, Kleidungsstücke und andere Habseligkeiten ihres Sohnes aus der Asservatenkammer der Berliner Polizei ab. Was sie in den Kartons fanden, könnte die Berliner Staatsanwaltschaft in arge Verlegenheit bringen, die den Todesfall letzten Mai als Selbstmord zu den Akten gelegt hatte. Denn die Beweisstücke sind damit wohl kaum in Einklang zu bringen.
Der Anwalt Wolfgang Kaleck jedenfalls fordert eine Wiederaufnahme der Ermittlungen. Am 22. Oktober 1998 war der zuvor fünf Tage lang vermisste Informatiker Boris F. in einem Park in Berlin-Britz erhängt aufgefunden worden. Einen Abschiedsbrief hinterließ er nicht. Der 26-jährige war ein berühmter Hacker und galt als Experte für Verschlüsselungssysteme – die Polizei nahm ihre Ermittlungen unter dem Verdacht des Mordes auf. Zwar erbrachte die Obduktion keine Hinweise auf Fremdeinwirkung. „Trotzdem könnte der Mann umgebracht worden sein“, sagte damals Chefermittler Ruckschnat vom LKA Berlin: „Ein solches Genie hat immer auch Feinde.“
Doch schon bald erlahmte die amtliche Suche nach möglichen Tätern. Trons Eltern und Anwalt Kaleck wandten sich mehrfach an die Staatsanwaltschaft. Etliche der Schreiben sind unter www.tronland.net online dokumentiert. Aber nichts in ihrem Sinne geschah. In drei Jahren wurden nicht einmal alle von der Polizei angeordneten kriminaltechnischen Untersuchungen durchgeführt.
Die Staatsanwaltschaft erhielt drei Dienstaufsichtsbeschwerden, und Andy Müller-Maguhn, Sprecher des Chaos Computer Clubs (CCC) und gewählter Direktor der Icann, listete im Mai 2001 noch einmal in einem Brief „wesentlichen Ermittlungsversäumnisse“ auf. Untersucht werden sollte unter anderem, ob sich an Trons Kleidung, Händen und Schuhen Spuren des Baums befanden, an dem er hing, und ob der Baum selbst Faserspuren aufwies, die bei einem Selbstmord zu erwarten wären. Auch der Gürtel, an dem erhängt der Tote aufgefunden wurde, sollte auf DNA-Spuren untersucht werden – das LKA hatte diese Untersuchung einmal selbst in Auftrag gegeben.
Nur schwer mit einem Selbstmord vereinbar ist ferner der bei der Obduktion festgestellte Mageninhalt des Hackers: Spaghetti nach Art seiner Mutter mit einer unverwechselbaren Basilikum-Gewürzmischung. Da die Obduktion ergab, dass der Tod etwa einen Tag vor dem Auffinden der Leiche eintrat, also am 21. Oktober 1998, bleibt unerklärlich, wieso die Spaghetti unverdaut waren, die Tron fünf Tage zuvor eingenommen hatte. Die Anwälte der Eltern nehmen an, dass er bereits nach seinem Verschwinden stranguliert und seine Leiche danach in einem Kühlhaus gelagert wurde – was nach Meinung der Gerichtsmediziner zwar mit den Untersuchungsergebnissen vereinbar wäre, für die Staatsanwaltschaft jedoch als derart „fern liegend“ galt, dass sie auf weitere Untersuchungen verzichtete.
Wer hatte ein Motiv?
Müller-Maguhn beendete seinen Brief mit der Frage „ob das hier dokumentierte Vorgehen nicht den Tatbestand der Strafvereitelung im Amt erfüllt“. Die Antwort bestand in der Einstellung des Verfahrens. Um dennoch – auf eigene Kosten – weitere Untersuchungen durchführen zu können, ließen Eltern und Anwalt die Asservate unter notarieller Aufsicht registrieren und versiegeln.
Der erste Karton enthielt den Gürtel, an dem erhängt Tron aufgefunden wurde. Offenbar gehörte er einer recht korpulenten Person, denn er zeigt Gebrauchsspuren, die auf einen Taillenumfang von 96 cm schließen lassen – noch im engsten Loch eingehakt, ergäbe sich ein Umfang von 93 cm. Tron konnte diesen Gürtel nicht getragen haben, er war mit nur 75 cm Taillenumfang viel zu mager dafür. Tatsächlich zeigt sein Bild auf der Tronland-Website einen spindeldürren Hacker. Nicht weniger aufklärungsbedürftig ist der Umstand, dass von Trons eigenem Gürtel am Tatort jede Spur fehlte – obwohl ein Werkzeugtäschchen, das mit einer Schlinge an einem Gürtel zu befestigen ist, und Handy mit Halterung dort am Boden lagen. Von den Tätern so arrangiert?
Tron war nicht nur der Erste, der es schaffte, Telefonkarten unbegrenzt nutzbar zu machen, er beschäftigte sich auch mit den so genannten Smartcard-Verfahren, die Bezahlfernsehsender einsetzen, um ihre verschlüsselten Programme zu schützen. Die Betreiber der Tronland-Website haben jedoch „keine Hinweise, dass Tron sich je intensiver mit der Smartcard beschäftigt hat“. Der Anwalt der Eltern verweist dagegen auf den amerikanischen Geheimdienst NSA (National Security Agency), unter anderem verantwortlich für das Abhörsystem Echelon und „spezialisiert auf das Schwächen und Brechen von Verschlüsselungssystemen“, sagt Anwalt Kaleck.
Die USA haben sich immer gegen den Export starker Kryptografietechniken eingesetzt, die internationale Debatte erreichte in Trons Todesjahr ihren Höhepunkt. 33 westliche Staaten einigten sich 1998 auf Druck der USA mit dem Abkommen von Wassenaar, starke, also sichere Verschlüsselungssysteme besonderen Beschränkungen zu unterwerfen.
Laut Anwalt Kaleck war diese Diskussion die Motivation für Trons Diplomarbeit. War sie auch ein Motiv für seine Mörder? In seiner Arbeit präsentierte Tron Anfang 1998 ein neues technisches Prinzip für eine sehr starke Verschlüsselung, das, so der Anwalt, gegen bestimmte Methoden der NSA immun war. Das von Tron gleich damit gebaute „Cryptofon“ wurde von der Fachwelt als „genial“ bewertet. Dieses Gerät war zunächst nur ein extrem abhörsicheres Telefon, das mit ISDN-Anschlüssen relativ einfach hätte verwendet werden können. Es sollte aber, sagen Trons Freunde, zum „Cryptron“ weiterentwickelt werden, einem einfachen Gerät, das nicht nur Internetverbindungen verschlüsseln könnte, sondern auch die rechtssichere digitale Unterschrift ermöglicht hätte. Einzelheiten sind unter www.tronland.net/cryptron/cryptron.htm zu finden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen