Friseurgespräche

„Kanzler gegen ddp“ steht heute auf dem Spielplan des Hamburger Landgerichts. Wenn die Nachrichtenagentur noch mal schreibt, Schröder färbe seine Haare, will der eine viertel Million Euro

von VENIO PIERO QUINQUE

Heute um 12.15 Uhr verhandelt die Pressekammer des Hamburger Landgerichts einen Fall, in dem es um graue Stellen, Tönungen und andere Färbemittel geht. Eine haarige Angelegenheit, denn Gerhard Schröder klagt gegen den Deutschen Depeschendienst (ddp), der zur insolventen KirchMedia gehört. Nie wieder solle ddp behaupten, der Kanzler töne seine Haare.

Anlass des Streits war eine ddp-Meldung vom 23. Januar. Darin verglich die Image-Beraterin Sabine Schwind von Egelstein die Kontrahenten Schröder und Stoiber. Bei der Fachfrau für Äußerlichkeiten kam Schröder insgesamt gut weg: Er sei menschlich und sympathisch, stellte sie fest. Die Volksnähe, die er ausstrahle, schaffe ihm einen Beliebtheitsvorsprung, der nur schwer einzuholen sein werde. Dann folgte jedoch der entscheidende Satz: Schröders dunkles Haar wirke unglaubwürdig. Es käme seiner Überzeugungskraft zugute, wenn der Kanzler sich die grauen Schläfen nicht wegtönen würde.

Das tat Schröder offenbar sehr weh. Noch am selben Tag erreichte ddp ein Schreiben, in dem der Hamburger Jurist Michael Nesselhauf sich als Anwalt Schröders auswies. „Wir wurden aufgefordert, eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben“, sagt ddp-Chefredakteur Bernd von Jutrczenka. „Für jeden Verstoß sollten 10.000 Euro gezahlt werden.“ Zudem forderte Schröders Advokat eine Richtigstellung in der nächstmöglichen Meldung und lieferte auch eine ausformulierte Textvorlage mit. „Daraufhin haben wir die Richtigstellung gesendet, und die Sache war für uns erledigt“, sagt Jutrczenka. Das war sie mitnichten. Sechs Tage später kam der juristische Vorschlaghammer: einstweilige Verfügung mit Unterlassungsverfügung, bei Verstoß im schlimmsten Fall 250.000 Euro Strafe oder alternativ zwei Jahre Haft.

Wenn man Lockenwickler und Shampoo beiseite legt und einen Blick in die Fachliteratur wirft, stellt man fest, dass Schröders Chancen in der Sache sehr gut stehen. Im Presserecht hat ein wörtliches Zitat nämlich zwei Seiten: Einmal enthält es die Tatsachenbehauptung, dass sich der Betroffene wie zitiert geäußert hat. Andererseits kann ein Zitat auch eine Äußerung enthalten, durch die ein Dritter – hier Schröder – betroffen ist. Wenn in dem Zitat eine Tatsachenbehauptung aufgestellt wird („Kanzler färbt sich die Haare“), müssen sich der Autor und das Medienunternehmen dieses Zitat zurechnen lassen. „Verbreiterhaftung“ heißt das im Presserecht. Dieser Haftung kann ein Journalist nur entgehen, wenn er sich ernsthaft von der Behauptung distanziert. Wobei der BGH höchste Anforderungen an eine solche Distanzierung erhebt und der Erklärung damit jeder Anschein möglicher Richtigkeit genommen werden muss.

Dass der Vorsitzende Richter am Hamburger Landgericht nur 15 Minuten für den Fall angesetzt hat, spricht für Schröder. Für die Medien ist des Kanzlers Law-and-Order-Aktion als Warnschuss zu verstehen. Immer wieder hatten sie über eine Schönung durch Tönung berichtet. Und der politische Gegner griff die Gerüchte ebenfalls gern auf: „Ein Bundeskanzler, der sich die Haare färbt, der frisiert auch jede Statistik“, frohlockte etwa Karl-Josef Laumann, selbst leicht angegrautes Mitglied der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag. Aus der Welt ist die Behauptung über Kanzlers Coiffure noch nicht: Image-Beraterin Sabine Schwind von Egelstein bekam Anrufe vom Mirror und der BBC, auch die Washington Post interessierte sich für das deutsche „Waschen-und-Legen“-Gate. „Und aus Deutschland waren natürlich alle dabei. Fernsehen, Radio, Zeitungen, alle rauf und runter“, seufzt Schwind von Egelstein, klingt dabei aber nicht wirklich unglücklich.

Starfigaro Udo Walz, des Kanzlers Friseur des Vertrauens, kann den ganzen Rummel nicht verstehen. Zuletzt habe er Schröder vor zwei Monaten die Haare geschnitten – „und ihn natürlich nicht auf diese Sache angesprochen, er soll sich ja entspannen“. Walz und ein Hannoveraner Scherenkünstler waren es auch, die dem Kanzler im Verfahren mit zwei Eidesstattlichen Versicherungen aushalfen, in denen sie ihm unbehandelte Strähnen bestätigten. „Außerdem hat er ja graue Haare“, sagt Walz. „Wenn man Chemie einsetzen würde, ergäbe das einen roten Schimmer.“ Und den will sich offenbar selbst ein SPD-Chef nur ungern nachsagen lassen.

Wahlkampf-Beobachter haben ihre Blicke mittlerweile auf das Führungspersonal der anderen Parteien gelenkt: CDU-Chefin Angela Merkels Straßenköterbraun ist schon seit längerem suspekt, Edmund Stoibers Krone wirkt einen Tick zu weiß. Und die dunkelblonde Westerwelle schimmert ebenfalls verdächtig.