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Frech wie Freydís

Was verbindet Björk mit einer ungewöhnlichen Heldentat aus einer alten Saga? Na, die ungestüme Krabskrälligkeit!

von JON BJARNI ATLASON

Wenn Tyrtäus und der Isländer gleichen Schlachtgesang anstimmen: so ist der Ton wahr, er reicht bis ans Ende der Erde. (Johann Gottfried Herder)

In „Eiríks saga rauda“ (der Sage von Erich dem Roten) wird davon berichtet, dass einige Isländer Schifffahrten an die Küste Nordamerikas unternahmen, kurz nachdem Leif der Glückliche als erster Europäer den Kontinent um das Jahr 1000 entdeckt hatte. Das Land hat die Seefahrer wohl sehr beeindruckt. Sie stießen dort auf ungesäte Weizenäcker und Weinranken. Das Land bekam deshalb den einladenden Namen „Vínland“, Weinland. Es war aber von Rothäuten bewohnt, und es kam nie zu einer richtigen Besiedlung durch die Isländer. Bald geriet das Land für Jahrhunderte in Vergessenheit.

Anfangs war mit den Indianern Tauschhandel betrieben worden. Nach kurzer Zeit jedoch kam es zu kriegerischen Auseinandersetzungen, und als die Isländer eines Tages von den Rothäuten angegriffen wurden, trug sich eine erstaunliche Heldentat zu. Wegen der Überzahl der Einheimischen waren die Wikinger bald in die Flucht geschlagen, doch dann erschien Freydís Eiríksdóttir, die Schwester von Leif dem Glücklichen, und forderte ihre Leute zum Kampf gegen diese nichtswürdigen Männer auf, die sie außerdem mit Schlachtvieh verglich. Sie behauptete zugleich, sie würde besser kämpfen als die flüchtenden Männer, wenn sie nur eine Waffe hätte. Ihre Worte wurden ignoriert, und so musste sie mit den Männern fliehen. Freydís wurde aber schnell von den Indianern eingeholt, was gar nicht wundern muss, da sie – wie Goethe es formuliert hätte – „krabskrällig“ war, hochschwanger.

Vor ihr lag ein toter Landsmann mit einem Stein im Kopf und neben ihm sein Schwert. Und als die Feinde sie erreichten, ergriff sie seine Waffe, machte ihren Oberkörper frei und schlug sich mit dem eisernen Schwert auf die Brust. Diese Erscheinung hat die Einheimischen in solche Angst versetzt, dass sie zu ihren Booten rannten und wegruderten. Freydís wurde von ihren Männern gepriesen. Aus Angst vor weiteren Angriffen entschieden sie sich aber nach einem Winteraufenthalt, Weinland zu verlassen und wieder in die grönländische Wahlheimat zu gehen.

Fast tausend Jahre später sorgte ein Konzertauftritt von Björk Gudmundsdóttir und ihrer Band Kukl (ein altertümliches Wort für Magie) für viel Aufsehen und erinnerte ein wenig an das Ereignis in Weinland. Die Punkepoche näherte sich damals in Island langsam dem Ende. Björk war schon längst bekannt geworden, ihr erstes Soloalbum erschien bereits 1977, als sie elf Jahre alt war. Seitdem hatte sie in einigen Bands gesungen, die in der isländischen Musikszene auffielen. Die Musik von Kukl befand sich irgendwo zwischen Siouxsie and the Banshees, The Fall, Killing Joke und den Einstürzenden Neubauten. 1984 kam ihre Platte „The Eye“ bei Crass Records in London heraus, und sie wurden in England durch Auftritte mit Gruppen wie Psychic TV oder Chumbawamba ein wenig bekannt.

Die Punkszene in Island war natürlich neugierig auf ihren Aufstieg. Gerüchte um sagenhafte Auftritte mit Flux of Pink Indians in einer verlassenen Feuerwache in London, wo das Publikum Kreise bildete, in denen gepoppt wurde, machten die Runde. Für einen jungen Punk war das alles sehr aufregend. Mehrmals in der Woche ging man in den Plattenladen Grammid in Reykjavík. Dort wurde später das isländische Label Bad Taste gegründet. Manchmal traf man auch die Leute von Kukl und lauschte gespannt, was die Band alles von London erzählte.

In Island wurde Kukl langsam populär. Ihr Bekanntheitsgrad in Großbritannien – damals eine Seltenheit für eine isländische Band – hatte sich herumgesprochen, und so kam es, dass das isländische Staatsfernsehen eine Sendung von einem Auftritt mit Kukl machen ließ, der heute noch lebhaft in der Erinnerung vieler Isländer ist.

Björk Gudmundsdóttir war an diesem Abend schwarz angezogen. Ihre Augenbrauen waren abrasiert, und sie befand sich im siebten oder achten Monat der Schwangerschaft. Aus ihrem Kleid ragte schwer ihr entblößter Bauch. Sie tobte wild herum auf der Bühne, schrie die Konzertgäste an, und ihr Zustand schien ihren Auftritt nicht im Geringsten zu stören – eher im Gegenteil. Björk strahlte eine Magie aus, die sowohl das Publikum als auch die Fernsehzuschauer in ihren Bann schlug. Einige verließen empört den Saal, und auch meinem Vater, der mit mir das Konzert besuchte, war nicht ganz wohl, denn so etwas hatte er noch nie gesehen. Der Auftritt führte zu einer Flut von Protestbriefen und -telefonaten. Eine Schockwelle erfasste einen großen Teil der isländischen Bevölkerung. Es wurde sogar von einer Frau berichtet, die an den Folgen des Zuschauens einen Herzinfarkt erlitt.

Im Radio wurde heftig diskutiert, und sogar im Parlament fielen deftige Worte über die hochschwangere Anarchopunkerin und darüber, dass Steuergelder für die Ausstrahlung des Konzerts verwendet wurden. Derartiges, meinten viele, gehöre einfach verboten, schließlich ginge es um die Gesundheit der Mutter und vor allem ihres Kindes. Wenig später brachte Björk einen gesunden Sohn zur Welt. Der skandalöse Auftritt scheint weder Björks Aufstieg zum Weltstar noch der Gesundheit ihres Sohnes geschadet zu haben.

Die im Ausland lebenden Isländer haben in der Regel einen gewissen Hang zu ihrer Heimat. Sie scheinen selten Wurzeln in der Fremde zu schlagen, auch wenn sie einen großen Teil ihres Lebens dort verbringen. Früher oder später gehen die meisten wieder zurück. Bei kleinen Inselvölkern mag die Heimatverbundenheit stärker ausgeprägt sein als anderswo. Auch Björk ist vor wenigen Jahren zurück nach Island gezogen. Sie meinte unter anderem, es sei besser, wenn ihr Sohn hier zur Schule geht. Sicher spielt es für sie auch eine Rolle, dass sie sich hier ohne Leibwächter bewegen kann. Sie wird kaum behelligt. Manchmal sieht man sie auf Spaziergängen, in den Cafés oder wie sie alleine durch die Innenstadt von Reykjavík schlendert.

Björk hebt gern hervor, wie wichtig die isländische Natur für sie sei. Manchmal bekommt man sogar das Gefühl, sie sei ein wenig national gesinnt. Vor allem wenn sie abwertend über Dänemark spricht und den Dänen vorwirft, die Isländer während der Kolonialzeit schlecht behandelt zu haben, was sonst nur die ältere Generation in Island zu tun pflegt. Nicht auszuschließen, dass dies ein Grund war für die schwierige Zusammenarbeit mit Lars von Trier bei den Dreharbeiten zu „Dancer in the Dark“.

Mit dem wachsenden Ruhm hat Björk in ihrer Heimat inzwischen den Status einer Diva bekommen, der frühere Neid scheint gänzlich verschwunden zu sein. Ich kann mich erinnern, dass ich vor einigen Jahren abends im Café List in Reykjavík saß und Björk auf einmal hereinkam. Alle wussten, wer sie war, und fast alle redeten heimlich über sie – aber keiner lächelte sie an. Erst als sie ein wenig abseits stand, tauten die Blicke auf. Einige schienen zu sagen: Denk nicht, du seist etwas Besonderes! Diese Haltung wird in Island „Janteloven“ (das Jantegesetz) genannt, nach dem spießerhaft-beschränkten Milieu der Kleinstadt Jante, in der die Handlung des Romans „Ein Flüchtling kreuzt seine Spur“ von dem Norweger Aksel Sandemose spielt.

Über „Janteloven“ ist Björk mittlerweile erhaben. Ihr Ruhm hat sie zum Liebling der Isländer gemacht. Und mit den Indianern scheint sie sich auch besser zu verstehen als ihre Landsleute vor tausend Jahren, wie bei ihrer letzten Tournee zu sehen war, als sie mit einem Inuitmädchenchor auftrat.

JON BJARNI ATLASON ist Germanist und leitet die isländische Busreise beim „Island hoch“ (siehe Programm)

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