: „Schmeißt sie ins Meer!“
US-Araber und -Juden wünschen sich gegenseitig innig das Schlechteste. Aber nicht alle. Wieder andere warten auf Anthraxpflaster gegen Zellulitis. Grüße von der Heimatfront
Wir hatten eigentlich schon das Stadium des „Don’t worry, be happy“-Krieges erreicht. Dass in Afghanistan noch gekämpft wird, merkte man in den USA erst wieder letzten Donnerstag, als ein US-Kampfflugzeug versehentlich kanadische Soldaten bombardierte. Vier Tote. „Oops, sorry“, funkte Washington nach Ottawa. Ansonsten widmet McDonald’s die Massenfütterung an der Heimatfront einen Monat lang den Streitkräften, was im Originalton „Appreciation of the Armed Forces Month“ heißt.
Die größte Erfolgsmeldung der letzten Wochen kommt von einem anderen Schlachtfeld. Im Krieg gegen das Altern dürfen Schönheitschirurgen jetzt mit dem Segen der Gesundheitsbehörden Biokampfstoffe einsetzen, wie man sie in Saddams Giftküche findet. Botox heißt das Wundermittel, in dem das Nervengift Botulin enthalten ist. Eine kleine Spritze ins Gesicht lähmt Muskeln, glättet Falten und kostet 500 Dollar. Gut betuchte Pensionäre hängen jetzt an der Nadel, bevor sie ihr frisch gebügeltes Profil wieder Floridas Sonne aussetzen und Süßstofftütchen mit der Aufschrift „God Bless America“ in den Eistee schütten. Währenddessen surrt auf der Promenade der Strandbus vorbei – bemalt mit Palmen und Kampfflugzeugen.
Sie glauben, ich denke mir das aus? Sie irren. Ich habe es letzte Woche mit eigenen Augen gesehen, in Boca Raton, in Fort Lauderdale und Miami, und will ja nur sagen: Dieses Land ist nicht unterzukriegen. Saddam und Ussama können zusammenbrauen, was sie wollen, hier, in America, gibt es demnächst Anthraxpflaster gegen Zellullitis.
Fast schien es also, der „Krieg gegen den Terrorismus“ würde ewig im Cruise-Control-Modus weiterlaufen, der Geschwindigkeitsautomatik im Auto, gäbe es nicht das, was man euphemistisch den „Nahostkonflikt“ nennt. „Widerspenstige Mitspieler frustrieren Quarterback Bush im Spielplan des Nahen Ostens“, schrieb unlängst die New York Times, als dessen Kommando „Ruhe da drüben!“ in Jerusalem und Ramallah ungehört verhallte. Gereizt sei der Präsident, der seit dem 11. September gewohnt ist, dass seine Regieanweisungen prompt befolgt werden.
Inzwischen wühlt der Bürgerkrieg im Nahen Osten auch die US-Wähler auf. Kein Wochenende ohne Demonstration in Washington, San Francisco oder New York. Zehntausend demonstrierten vor dem Kapitol für die Militäraktionen Israels. Letzten Samstag aber konterte eine Allianz von Pazifisten, Globalisierungskritikern und Solidaritätskomitees für Palästina mit einem Marsch gegen die Weltbank und für das Westjordanland. An den Universitäten überschlagen sich Teach-ins, Sit-ins, Mahnwachen, Schweigeminuten und Protestgesänge.
Meist stehen sie im Spalier. Auf der einen Seite Studenten in schlabbrigen Jeans, Fleecejacken und Palästinenserschals: „Stoppt die Besatzung““, steht auf ihren Schildern. Auf der anderen Seite Studenten in schlabbrigen Jeans, Fleecejacken und den Käppchen, die Jarmulke heißen: „Verteidigt Israel!“ heißt es auf ihren Transparenten. Wer beides möchte, steht dieser Tage auch in den USA ziemlich verloren da.
Allerdings läuft die Konfrontation hier nach anderen Prinzipien ab als in Europa. Hier werden keine Synagogen angezündet wie in Frankreich, keine jüdischen Passanten verprügelt wie in Deutschland. Nicht dass es in den Vereinigten Staaten keinen Antisemitismus gäbe. Auf einem Streifzug durch die Kaffeehäuser arabischer Immigranten in Paterson, New Jersey, hören Sie garantiert aus irgendeiner Ecke die Parole „Schmeißt die Juden ins Meer!“. Umgekehrt empfehlen orthodoxe Juden in Brooklyn, selbiges mit den Palästinensern zu tun.
Das Entscheidende ist die Reziprozität solcher Widerwärtigkeiten. Minderheiten in den USA können sich beschimpfen und beleidigen, aber eines dürfen sie nicht: symbolisch oder faktisch die Gewalt aus ihren Herkunftsländern auf amerikanischen Boden bringen. Vielleicht sieht man deswegen auf Demonstrationen in den USA keine Hamas-Sympathisanten, die ihren Kindern Sprengstoffattrappen um den Bauch binden.
Folglich blicken die amerikanischen Medien mal wieder irritiert auf Europa. Auf Deutschland, das Land des Holocaust, wo Demonstranten Davidstern und Hakenkreuz gleichsetzen; auf Frankreich, dessen politische Elite sich nicht so recht über antisemitische Gewalt aufregen will; auf Italien, wo die Tageszeitung La Stampa einen Cartoon veröffentlicht, in dem ein Jesuskind beim Anblick eines israelischen Panzers fragt: „Die wollen mich doch nicht wieder umbringen?“ Warum wundere man sich da, schrieb die New York Times, wenn viele Israelis hinter europäischer Kritik an ihrer Regierung Antisemitismus wittern?
Die Berichterstattung der US-Presse ist übrigens keineswegs so israelfreundlich, wie man meinen möchte. Die Washington Post geißelte die jüngsten Militäreinsätze. Die Fernsehbilder aus Dschenin, die Reportagen aus Bethlehem und Ramallah lassen Präsident Bushs Ausspruch von „Ariel Scharon als Mann des Friedens“ wie blanken Hohn erscheinen. Den meisten TV-Kommentatoren und „Nahostexperten“ fehlt zwar der Mumm, das öffentlich zu sagen. Aber hin und wieder taucht beim Zappen durch die Kanäle Zbigniew Brzezinski, der ehemalige Sicherheitsberater im Weißen Haus mit dem grimmigen Gesicht und dem Bürstenhaarschnitt, auf und wettert los: „Es gibt den palästinensischen Terrorismus und es gibt die vorsätzlichen Überreaktionen von Scharon, nicht um Terrorismus zu stoppen, sondern um die palästinensische Selbstverwaltung zu destabilisieren und das Abkommen von Oslo auszuhebeln!“ Und auf CNN kommt nicht nur der unsägliche Benjamin Netanjahu zu Wort, sondern sie zeigen auch jene Friedensaktivisten, darunter viele jüdische Amerikaner, die Krankenwagen in die umkämpften Gebiete gelotst und sich als human shields vor palästinensische Zivilisten gestellt haben.
In Ithaca, wo ich wohne, sind gerade wieder zwei „Peaceniks“ ins Westjordanland aufgebrochen, und beim Teach-in auf dem Campus der hiesigen Cornell-Universität fragte eine arabisch-amerikanische Journalistin die versammelten Studenten wütend, warum sie nicht längst auf der Straße seien, um gegen das Leiden der Palästinenser zu demonstrieren.
Okay, die Frage ist: Welche Straßen? Was wäre eigentlich, wenn man die Aktion der human shields auf Israel ausdehnen würde? Tausend europäische Friedensdemonstranten – wenn’s geht, ohne Palästinensertücher – in den Cafés von Tel Aviv, beim Sit-in am Busbahnhof von Haifa, bei der Mahnwache in der Jerusalemer Altstadt. Wo sonst könnte man dieser Tage besser gegen die Besatzung palästinensischer Gebiete protestieren und gleichzeitig Israel verteidigen? ANDREA BÖHM
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