: Die harte Hand des Königs
aus Amman SUSANNE KNAUL
„Muchaberat, Muchaberat!“, ruft der junge Demonstrant: „Geheimdienst, Geheimdienst!“ Er wehrt sich verzweifelt gegen drei Männer in Zivil, die ihn unter Schlägen und Fußtritten abführen. Seine Freunde versuchen ihm zu helfen, aber uniformierte Polizisten drängen sie zurück. Die Sicherheitsleute schieben den Verhafteten in einen Wagen und fahren davon.
Vor dem Haus der Akademikerverbände im Zentrum Ammans finden fast täglich Demonstrationen statt. „Mit unserer Seele und unserem Blut werden wir Palästina befreien“, rufen an diesem Tag rund 300 Jordanier. Fast die Hälfte sind Frauen, viele tragen Kopftücher, manche haben Kinder auf dem Schoß. Die Veranstalter machen es den Demonstranten bequem. Sie haben vor der Rednertribüne Plastikstühle aufgestellt, sodass die Atmosphäre fast wie bei einem Familienausflug ist. Die Rufe der Leute werden damit noch absurder. Es sind ja nicht sie, sondern ihre Brüder jenseits der Grenze, die dieser Tage „mit Seele und Blut für Palästina kämpfen“.
„Du hast Recht“, sagt einer der Demonstranten, „aber was könnten wir sonst tun?“ Das schlechte Gewissen und die Sorge um die Palästinenser im Westjordanland treibt die Leute dazu, viel Geld auszugeben. Im Anschluss an die Kundgebung drängen sie ins Akademikerhaus und spenden.
Vor der Eingangstür des Hauses ist eine Israelfahne auf den Boden gemalt. Jeder, der reinkommt, muss auf sie treten. Bilder der Intifada sind in der Eingangshalle ausgestellt. Ein Jugendlicher, der mit einem Stein gegen einen Panzer angeht, weinende Frauen und Kinder, Bilder von Beerdigungen der „Märtyrer“.
„Wir haben schon 150.000 Dinar (zirka 200.000 Euro) gesammelt“, sagt Muhammad Ouran, Chef des Medizinerverbandes. Vor eineinhalb Jahren gründeten die Akademikerverbände zusammen mit 14 jordanischen Parteien, darunter Islamisten, linke und nationale Parteien, das „Anti-Normalisierungs-Komitee“. Ouran sagt, es spiele keine Rolle, wer Palästinenser sei und wer Jordanier: „Jetzt sind wir alle Palästinenser.“
Einzig die regierungstreuen Gewerkschaften halten sich den Protesten fern. Das „Anti-Normalisierungs-Komitee“ organisiert die Demonstrationen, soweit sie nicht spontan stattfinden. Landesweit soll es, „mehrere hundert wöchentlich“ geben. Die Kampagne lief kurz nach Beginn der Al-Aksa-Intifada im Westjordanland und Gasa an. Erstes Ziel ist es, dass Jordanien die diplomatischen Beziehungen zu Israel abbricht. Der Protest macht sich an David Dadonn, Israels Botschafter in Amman, fest. Aber von jordanischem Sicherheitspersonal und zahlreichen Panzern rings um seinen Amtssitz geschützt, kann er vorläufig unverändert seiner Arbeit nachgehen. Nur die Familien der Botschaftsangehörigen wurden vor ein paar Monaten nach Hause geschickt.
Die jordanische Regierung drohte zwar wiederholt mit „diplomatischen Maßnahmen“, nachdem israelische Truppen Anfang April die Autonomiezone erneut besetzten. Doch seit dem Abzug des jordanischen Botschafters vor eineinhalb Jahren aus Tel Aviv tut sich an der diplomatischen Front konkret nichts mehr. In israelischen Regierungskreisen wird der völlige Abbruch der Beziehungen für „außer Frage stehend“ gehalten. Dennoch bestehe die Gefahr, dass der König „jordanische Interessen opfern muss“.
„Die Kluft zwischen Regierung und Volk wird immer tiefer“, schimpft der Mediziner Ouran. „Unglaublich“ sei, wie taub sich die Führung dem Wunsch ihrer Bürger gebenüber verhalte.
Es ist günstig für Israel, dass in Jordanien ein Monarch regiert. Einen demokratischen Nachbarn zu haben, in dem über 60 Prozent der Bevölkerung Palästinenser sind, würde das unweigerliche Ende der friedlichen Koexistenz bedeuten. Dass König Abdallah II., der vor drei Jahren das Zepter von König Hussein übernahm, den friedlichen Weg seines Vaters fortsetzte, hat gute Gründe. „Jordanien ist fragil und schwach“, erklärt Saeda Kilani. Die Journalistin und Literaturwissenschaftlerin leitet das Arab Archives Institute in Amman. „Die derzeitige Stabilität ist der Politik des Königs zu verdanken – der Strategie des sanften Weges.“ Einen Abzug des israelischen Botschafters könne sich der König nicht leisten: „Dann würden die Amerikaner sofort ihre Finanzhilfe streichen“.
Dazu kommt, dass die Grenze zu Israel die längste Jordaniens ist, und dass dahinter Palästinenser leben, die eine potenzielle Gefahr darstellen. Das passende Beispiel aus der Geschichte ist der Schwarze September von 1970, als PLO-Chef Jassir Arafat versuchte, die Macht in Jordanien an sich zu reißen. König Hussein antworte mit dem brutalen Einsatz seiner Soldaten.
Das Sicherheitsaufgebot am Tag, als das „Anti-Normalisierungs-Komitee“ vor der Israelischen Botschaft eine Demonstration mit Millionenbeteiligung angekündigt hat, zeigt, dass auch Abdallah II. vor einer gewaltsamen Niederschlagung Oppositioneller nicht zurückschrecken würde. Die gesamte Stadt ist abgeriegelt. Noch mehr Absperrungen im Umkreis von zwei Kilometern der Botschaft und das Gerücht von „10.000 Polizisten im Einsatz“ führen dazu, dass die Organisatoren ihre geplante Kundgebung absagen.
In Richtung Demokratie?
So zufrieden Israel über die harte Hand des Königs sein kann, so ungünstig wirkt sich umgekehrt der eskalierende Konflikt auf der Westseite des Jordans auf den Demokratisierungsprozess aus. Auch infolge der Al-Aksa-Intifada löste Abdallah im November 2000 das Parlament auf, weil es ihm zu oppositionell wurde. „Ich glaube, dass wir uns in Richtung Demokratie bewegen“, bestreitet Sozialministerin Tamam al-Ghoul diesen Zusammenhang. „Es gibt keine Kluft zwischen der Regierung und dem Volk. Es mag verschiedene Meinungen geben, aber das ist sehr gesund für das Land.“ Die Vorgänge im Westjordanland seien sehr „schwierig“, was sich dort abspielt verletze „alle Menschenrechte und internationale Konventionen“, darüber bestünden keine Differenzen. „Aber wir sind eine Regierung. Wir müssen mit unserem Verstand handeln. Das Volk gibt seinen Gefühlen Ausdruck.“
Ein „Ausdruck“ der herrschenden Gefühle im Volk ist die „zunehmende Sympathie für die Islamisten“, sagt Neil Quillian, Wissenschaftler am Emirate Center for Strategic Studies in Abu Dhabi. Gleichzeitig „wagt es heute niemand mehr, öffentlich von einer Normalisierung zu sprechen“. Zwar hatten schon vor der Intifada 80 Prozent der Jordanier Israel als Feind gesehen, inzwischen ist es auch um die letzten im Friedenslager still geworden.
Dass über die Proteste im In- und Ausland so wenig berichtet wird, liege auch an der harten Hand der Regierung. „Wir dürfen zwar grundsätzlich über Demonstrationen berichten“, sagt Fuad Abu Hijleh, Kolumnist der in Jerusalem erscheinenden palästinensischen Zeitung Al Hayat Al Jadida. Aber: „Dass wir den Abzug des israelischen Botschafters fordern, steht in keiner Zeitung.“ Der Protest gegen den Frieden mit Israel dürfe nicht erwähnt werden. „Es herrscht ein Klima der Angst“, bestätigt Quillian. „Im Augenblick stützt sich der König stärker auf die Geheimdienste als sein Vater.“ Das führt beispielsweise dazu, dass in Jordanien ansässige Auslandskorrespondenten Kollegen bitten, für sie Aufzeichnungen von Demonstrationen außer Landes zu schmuggeln.
Die Stimmung im Volk könne sich in zwei Richtungen entwickeln, erklärt Gregor Meiering von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Amman: „Entweder die Leute stumpfen angesichts der sich täglich wiederholenden Fernsehbilder ab und werden phlegmatisch oder ihr Zorn wird sich noch zuspitzen.“ Indikator dafür, dass die zweite Möglichkeit wahrscheinlicher ist, könnte die veränderte Stimmung bei McDonald’s sein, wo „seit ein paar Tagen statt der üblichen MTV-Schlager vaterländische Musik aus den Lautsprechern plärrt“. Die Fastfood-Kette aus den USA unterstützt zudem mit je 200 Fils (etwa 30 Cent) pro Hamburger die Palästinenser im Westjordanland. „Das ist nur ein Geschäftstrick“, sagt der Kolumnist Abu Hijleh. „Viele Jordanier boykottieren schon seit eineinhalb Jahren amerikanische Produkte. Bei McDonald’s, Kentucky Fried Chicken und Pizza Hut herrscht gähnende Leere.“
Boykott? Chicken-Nuggets!
Ganz so schlecht scheint es um den Umsatz zumindest der McDonald’s-Filiale am Campus der staatlichen Universität in Amman doch nicht gestellt zu sein. Mindestens 50 Studenten sitzen hier mit Burgern, Pommes oder Chicken-Nuggets in der Sonne. „Wenn Arafat Kompromissen zustimmt, ist er ein toter Mann“, sagt Noor, eine Palästinenserin Anfang 20. Allerdings finde sie den Boykottaufruf nicht entscheidend für die politische Sache. Jedenfalls will sie sich den Genuss ihrer Cola nicht verderben lassen. Achmad, einer ihrer Kommilitonen, setzt sich kurz neben sie. Er trägt die Uniform der McDonald’s-Mitarbeiter, ist selbst Palästinenser und glaubt auch, dass es „keine Zwei-Staaten-Lösung“ geben darf. Aber von Boykott will er auch nichts wissen. Geht es um die eigene Einnahmequelle, rückt die Ideologie in den Hintergrund.
Das ist auch jenseits der Grenze so. Am israelischen Unabhängigkeitstag, als die „Operation Schutzwall“ noch auf ihrem Höhepunkt ist, bietet die amerikanische Fastfood-Kette Burger-Ranch jedem Soldaten in Uniform ein komplettes Mittagsmenü – umsonst.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen