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Zwei Erinnerungen

■ Stephan Braese spricht heute über seine Studie zu jüdischen Autoren in der deutschen Nachkriegsliteratur

Schon manches Urteil über die Vergangenheit hat sich unbeabsichtigt als Blick in die Zukunft erwiesen. Ein Beispiel solcher Hellsicht ist das Urteil von Gershom Scholem über den Mythos eines deutsch-jüdischen Gesprächs. Anfang der 60er Jahre bestritt Scholem rückblickend die Existenz eines gleichberechtigten Dialogs im Verhältnis von Juden und Deutschen. Sarkastisch merkte er an, ein Gespräch mit Toten, nämlich den Opfern der Shoah, sei ohnehin nicht möglich. Dieses allgemeine Verdikt setzt sich im besonderen im Kontext der deutschen Nachkriegsliteratur fort: Zumeist waren die jüdischen AutorInnen bloße Objekte philosemitischer Vereinnahmungen.

Den Ort jüdischer SchriftstellerInnen in der deutschen Literatur nach 1945 – unter dem Vorzeichen der Erinnerung an den NS-Faschismus – beleuchtet der Literaturwissenschaftler Stephan Braese: Die bereits erschienene UntersuchungDie andere Erinnerung wird er heute in der Heine-Buchhandlung vorstellen. Zu Einführung und Gespräch dabei: Klaus Briegleb, emeritierter Hamburger Literaturprofessor, dessen Buch Wie antisemitisch war die Gruppe 47 im Herbst dieses Jahres erscheinen wird.

Ausgangspunkt der Studie Braeses ist die Stellung der jüdischen AutorInnen in einem „Gegenüber“ zur Mehrheit der deutschen AutorInnenschaft. Dieses Gegenüber leitet Braese jedoch nicht aus einem „jüdischen Schreiben“ oder einer „jüdischen Erinnerung“ ab. Vielmehr sei es „ihre Nicht-Teilhabe an der kollektiven Erinnerung der Mehrheit der Deutschen zwischen 1933 und 1945“, die eine „Schnittstelle“ zwischen westdeutscher Literatur und Äußerungsbegehren jüdischer AutorInnen markiere. Anhand der unterschiedlichen literarischen Produktionen Grete Weils, Wolfgang Hildesheimers und Edgar Hilsenraths, denen zunächst „nur“ die Verfolgungs- und Überlebenserfahrung gemeinsam ist, arbeitet Braeses Studie diese Schnittstelle heraus.

Rund dreißig Jahre habe das Zeitfenster gewährt, in dem es eine historische Chance des Gesprächs zwischen Überlebenden der NS-Vernichtungspolitik und den Deutschen in der Literatur gegeben habe. Genau jenen Zeitraum versucht Braese zu beleuchten. Dabei entwirft er – über die Beschäftigung mit den drei AutorInnen hi-naus – ein Panorama vielstimmiger Debatten im Nachraum des NS-Faschismus. Dabei tritt zuweilen eine unerwartete Aktualität zutage, wie etwa bei der Kontroverse zwischen Hildesheimer auf der einen, Peter Weiss und Erich Fried auf der anderen Seite zur Haltung gegenüber Israel anlässlich des Sechs-Tage-Kriegs.

Wenn auch Braese selbst mit Wertungen zurückhaltend ist, so macht seine Untersuchung deutlich, dass das deutsch-jüdische Gespräch auch in der jüngsten Vergangenheit meist ein jüdisches Selbstgespräch war. Mit Blick auf die Walser-Bubis-Debatte wird niemand Scholem widersprechen können, der 1962 feststellte: „Die einzige Gesprächspartnerschaft, welche die Juden als solche ernst genommen hat, war die der Antisemiten, die zwar den Juden etwas erwiderten, aber nichts Förderliches.“

Andreas Blechschmidt

 Buchvorstellung (Einleitung und Gespräch: Klaus Briegleb): heute, 19.30 Uhr, Heine-Buchhandlung, Schlüterstr. 1

Stephan Braese: Die andere Erinnerung, Philo-Verlag, Bodenheim 2001, 420 S., 30 Euro

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