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Hut auf und losgeschaukelt

Jugendszenen in der Zeitschleife (2): Mehr als 2000 Ska-Fans gibt es noch in Berlin. Eine kleine Exkursion in die sonnige Welt der beschleunigten karibischen Tanzmusik, die mit ihrer hemmungslosen Ausgelassenheit alles Schlimme wegzufegen vermag

von KIRSTEN KÜPPERS

„Hm, Du kennst kein Ska? Dann kennst Du nicht das Gefühl, wie das trübste Herz plötzlich Feuer und Flamme ist und herumtanzt, wie ein verrückter Hund?“ (Ska-Fan im Internet)

Bisweilen fällt man in diese Momente. Kleine Szenen, in die man gedankenlos hineinrutscht und die einem auf irritierende Weise vertraut scheinen. So wenn man durch den Mauerpark geht und die jungen Hippies auf der zertretenen Wiese mit der Gitarre sitzen und kiffen sieht. Und man sich sicher ist, dass diese kleine Gruppe eingefroren wurde, 1970 oder 1986 in der westdeutschen Provinz. Und sie nun einfach jemand rausgelassen haben muss aus der Kühltruhe. Es ist klar, dass alles nicht stimmt mit dem Einfrieren, die jungen Hippies modern und anders sind, ihre Samtjackets vielleicht längere Ärmel haben, es die indischen Tücher billig bei H&M im Angebot gab usw.

Ähnliche Irrtümer lauern überall. Genauso verkehrt ist es, schwarz gekleideten Menschen mit Sonnenbrillen und spitzen Schuhen Nostalgie, Regression oder Einfallslosigkeit zu unterstellen, weil sie einer als überholt geltenden Jugendkultur anhängen – den Fan besucht das Erlebnis ja immer wieder neu. Bei Ska verhält es sich nicht anders. Auch in Berlin, wo dauernd Ska-Bands wie Mothers Pride, Skatoon Syndikat und Skunk Beat auftreten und die Zahl der Anhänger auf 2.000 geschätzt wird.

So ist auch der Keller in Kreuzberg an diesem Abend ausverkauft, wo die neunköpfige Band Ginseng Bonbons Saxophonnummern mit dem typischen leiernden Rhythmus spielt. Im Publikum stehen Jungs mit kleinen Hüten auf dem Kopf; die Teenager im Publikum werfen schon beim zweiten Lied die Tische um und alles geht in einen warmen Pogo-tanzenden Gefühlsüberschwang auf. Es sind alte Traditionen, die bei jedem Ska-Konzert weitergetragen werden müssen. Seit über 40 Jahren. Eine Zeit, die reicht, um Pathos zu entwickeln: Ausflüge in die Musikgeschichte unternehme man „am besten barfuß“, empfiehlt das Ska-Fanzine „SkinUp“, „denn es handelt sich um eine Pilgerfahrt in tiefer Demut.“

Den Ursprung nahm Ska in den 50er-Jahren mit den fahrbaren Diskotheken auf Jamaika. Geschäftstüchtige Männer luden große Lautsprecher auf einen LKW und fuhren über die Insel, um den Menschen gegen Geld importierte Rhythm & Blues-Platten aus den USA vorzuspielen. Für eine gute Show gaben sich die Diskjockeys Fantasienamen und zogen Dracula- oder Zorro-Umhänge über. Als der Nachschub an R&B-Platten aus den USA ausblieb, weil dort der Rock ’n’ Roll in Mode kam, mussten sich die mobilen Diskothekenbesitzer allerdings neue Geldquellen erschließen. Sie schickten einheimische Musiker in billige Aufnahmestudios und bezahlten sie mit Alkohol und Zigaretten. Ein eigener Musikstil enstand, der sich aus amerikanischen, karibischen und afrikanisch-jamaikanischen Vorläufern wie R&B, Jazz, Calypso, Mento usw. zusammensetzte.

Vom frühen Ska Anfang der Sechziger ist zudem überliefert, dass es den Sängern oft schwerfiel, der Geschwindigkeit der Musik zu folgen. The Skatalites sind wohl die bekannteste Band aus dieser Zeit. Nach einem Auftritt bei einem Polizeiball löste sich die Band 1965 wegen finanzieller Probleme auf. Auf der Insel begann sich eine neuer Musikstil durchzusetzen: Reggae. Jamaikanische Einwanderer brachten dafür den Ska nach England. Sie importierten auch Rocksteady, eine im heißen Sommer 1967 auf Jamaika entstandene langsamere Musikform mit schleppendem Rhythmus.

Die karibische Tanzmusik gefiel den Jugendlichen in den englischen Nachtclubs, besonders bei den Mods fand sie Anklang, jenen Arbeiterjugendlichen, die italienische Motorroller mit Fuchsschwänzen und vielen Spiegeln verschönerten. Erste Plattenfirmen wurden gegründet, die Anhänger der neuen Jugendkultur trugen runde Hüte mit kurzer Krempe, sogenannte Pork Pies. Etwa um 1969 entdecken auch die britischen Skinheads den Rocksteady, eine Bewegung von Jugendgangs der britischen Arbeiterklasse, bei der diverse Hautfarben und Kulturen vertreten waren. Den Kopf rasierten sich die jungen Leute nicht zuletzt, um sich von den verhassten, langhaarigen Hippies abzusetzen. Nach Feierabend und am Wochenende trafen sie sich zum Trinken und zum Prügeln nach dem Fußballspiel. Die Gangs von damals sollen gewalttätig gewesen sein, aber nicht rassistisch. Sie hörten so genannten „Skinhead Reggae“.

Als die Hippiebewegung sich zunehmend durchsetzte, tauchte die Ska-Musik ein bisschen unter. Erst Ende der 70er-Jahre begannen britische Bands in einer Gegenbewegung fast zeitgleich mit der aufkommenden Punk-Musik wieder Ska zu spielen. Der neue Variante klang ungestüm, wild und ein wenig nach Schluckauf, die Texte steckten wie eh und je voller Sozialkritik und völkerverbindender Aussagen. Zum Symbol für den Kampf gegen Spannungen zwischen Schwarzen und Weißen in der englischen Gesellschaft geriet das Label Two-Tone, das The Specials unter Vertrag hatte. Bands wie Bad Manners, Selecter und Madness machten Ska auch in Deutschland populär.

Allerdings fiel Ska mit der politischen Instrumentalisierung einiger Teile der Skinheadbewegung in den Achtzigerjahren zeitweise ins politische Abseits – weswegen Ska bisweilen in deutschen Verfassungsschutzberichten auftaucht. Auch in Berlin haben rechte Skins in den Jahren nach der Wende versucht die Musik für sich zu vereinnahmen.

Hannes, der 23-jährige Sänger der Gruppe Ginseng-Bonbons erzählt von Konzerten in Ostberlin, bei denen es zu rauschhaft bösen Prügeleien zwischen den Fans kam. Mit einer Flasche Bier in der Hand sitzt der junge Mann still und erschöpft auf einem Elektrokasten auf der Straße vor dem Kreuzberger Keller, den seine Band gerade fast zum Einsturz gebracht hat, soviel Fanbegeisterung wie es gab. Die Auseinandersetzungen mit den Nazi-Skins hätte inzwischen abgenommen, meint Hannes. Viele Anführer der rechten Skinheadszene säßen im Gefängnis.

Er selbst sei durch seinen Lateinnachhilfelehrer zum Ska gekommen, sagt Hannes. Der habe ihm alte Skinheadmusik vorgespielt. Schließlich sagt Hannes das, was andere bezüglich dieser Musik auch schon gesagt haben. Das lässt sich in etwa darauf verdichten, dass ein Ska-Konzert nie nur ein Konzert bleibt, sondern immer zu dieser hemmungslosen Ausgelassenheit führt, die alles Schlimme wegfegt für eine kurze Bewegung kollektiven Vergessens.

Als die Band unten im Keller weiterspielt, unterhält man sich im Nebenraum noch mit einem Gast mit einem braunen Hütchen auf dem Kopf. Flo ist 17 Jahre alt und wohnt in einer Siedlung am Rande Berlins, seine Punkband probt in einem Raum der örtlichen Kirchengemeinde. Den Hut trage er nur aus Mitleid, erklärt Flo mit aufgescheuchten Lächeln. Irgendwann habe er ihn gefunden. Der Hut tat ihm leid, wie er da auf dem Boden lag, mit Ska habe das eigentlich nichts zu tun.

Zweiter Teil einer Artikelreihe über Jugendszenen in der Zeitschleife. Demnächst alles über die Gothic-Szene.

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