: Zwei Kanzler im Plenarsaal
Edmund Stoiber punktet im ersten Rednerduell mit Gerhard Schröder, weil er erfolgreich bestreitet, dass es sich um ein Duell handelt. In der Nahostpolitik liegen der Kanzler und sein Herausforderer so nah zusammen, dass sie nur ein Satz unterscheidet
aus Berlin PATRIK SCHWARZ
Ruprecht Polenz ist zufrieden. Das hätte den SPD-Wahlstrategen so passen können! Liebend gerne hätten die gesehen, meint der frühere CDU-Generalsekretär Polenz, dass Edmund Stoiber seine erste Bundestagsrede als Kanzlerkandidat zur Innenpolitik hält. Da hätten sie ihn angehen können, ihn einmal mehr in die rechte Ecke zu schieben versucht. Gerhard Schröders Regierungserklärung zur Familienpolitik in der vergangenen Woche wäre ein solcher Anlass gewesen, doch die Union sah die Gefahr und schickte damals ihren Fraktionsvorsitzenden Friedrich Merz ans Rednerpult.
An diesem Donnerstag nun spricht Stoiber zur Außenpolitik – und natürlich verleiht die direkte Konkurrenz der Kanzlerkandidaten der Debatte einen doppelten Boden. Die Veranstaltung im Reichstag entbehrt nicht einer gewissen Absurdität. In der Sache nämlich liegen Amtsinhaber und Herausforder so nahe beieinander, dass sie nur ein einziger Punkt trennt, der überdies frühestens in ein bis zwei Jahren relevant würde: die Frage, ob deutsche Soldaten an einer UN-Friedenstruppe in Nahost teilnehmen sollten.
Schröder wie Stoiber brauchten für die Erklärung ihrer Meinungsverschiedenheit nur je einen Satz ihrer halbstündigen Rede. „Wir werden von Fall zu Fall über den Umfang unserer Beteiligung nach dem Gesichtspunkt entscheiden, was wir leisten können und was wir sinnvoll und effizient leisten sollten“, sagte der Kanzler. Im Übrigen stünde die Frage derzeit nicht auf der Tagesordnung. Der Kanzlerkandidat setzte dagegen: „Ein militärischer Beitrag ist für uns keine Frage der Tagesordnung, sondern wir lehnen ihn im Nahostkonflikt aus grundsätzlichen Erwägungen ab.“
Trotz der knappen inhaltlichen Auseinandersetzung war gestern für Stoiber mehr zu gewinnen als für Schröder. Sein Ziel bestand nicht darin, anzugreifen, sondern gleichzuziehen. Der Kandidat sprach wie ein Kanzler, finden viele in der Union. „Es war eine Regierungserklärung“, sagte der CDU-Abgeordnete Polenz, „und sie ist gelungen.“ Ein Blick in die Gesichter seiner Fraktionskollegen genügte, um zu sehen, wie zufrieden sie mit ihrem aus München eingeflogenen Frontmann waren. „Außenpolitik ist ziemlich das einzige Gebiet, wo Schröder noch punkten konnte“, sagte Christian Schmidt, der für die CSU im Auswärtigen Ausschuss sitzt. Jetzt sei Stoiber gleichauf. Schon bei seiner Nahostreise habe er jedes Fettnäpfchen vermieden. „Das ist schon eine Leistung, aus diesem Land rauszukommen, ohne wo reingetreten zu sein.“
Auch in der verdeckten Konkurrenz der Eitelkeiten machte der Bayer eine gute Figur. Der Herausforderer sprach als Zweiter – und gebrauchte das Wort vom „Duell“ als Erster. So machte er die Frage des Zweikampfs offensiv zum Thema – um sie dann zu entsorgen. In den Medien habe er gelesen, sagte Stoiber an den „Herrn Bundeskanzler“ gewandt, dass manche in der heutigen Debatte ein Duell sähen zwischen ihm und dem Amtsinhaber. „Das halte ich angesichts der Tragik der Situation und der vielen Opfer des Konflikts einfach für abwegig.“
Schröder hatte zuvor über weite Strecken so getan, als befinde Edmund Stoiber sich auf der Zugspitze statt im Plenarsaal auf der Bank für Bundesratsmitglieder. Routiniert hatte er mit dem Gedenken an die Opfer von Djerba begonnen, dann den deutschen Fahndern gedankt, einen Rückblick über den rot-grünen Anti-Terror-Krieg seit dem 11. September geboten und den Fischer-Plan für einen Frieden in Nahost referiert.
Während Schröder sich sonst über Konkurrenten am Rednerpult gerne amüsiert, verfolgte er Stoibers Auftritt eher miesepetrig. Nur eine Spitze von ungewöhnlicher Subtilität hatte der SPD-Vorsitzende sich gegen den CSU-Chef erlaubt. Wohin Populismus führen könne, habe man ja jetzt in Frankreich sehen können. „Ich bin darum froh darüber, dass es einen so untadeligen Demokraten und Europäer wie Jacques Chirac gibt.“ Man musste schon über ein feines politisches Gehör verfügen, um zu merken, wie da Edmund Stoiber in die Nähe des Rechtsextremen Le Pen gerückt wurde. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat gute Ohren – und war empört.
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