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Bist du homo, bist du deutsch

Manche sehen Islam und Homosexualität als Gegensatz – andere leben einfach beides. So wie Ipek Ipekcioglu. Sie ist Türkin, Lesbe und DJane. Heute legt sie wieder „homooriental Dancefloor“ auf – bei Gayhane im Kreuzberger Klub SO 36

von SONJA ERNST

Manchmal sind Identitäten ganz leicht austauschbar. Jemand raubt einem die eigene und ersetzt sie durch eine andere, ganz mühelos. Man mag protestieren und sich wehren. Doch solche Versuche sind zwecklos, sobald die eigene Gruppe beschließt, dass man nicht mehr zu ihr gehört.

Wenn Söhne und Töchter türkischer Familien ihren Eltern offenbaren, dass sie homosexuell sind, dann kann es passieren, dass ihnen ihre türkische Identität abgesprochen wird. Die Eltern fragen dann: „Bist du türkisch oder homosexuell? Letzteres? Gut, dann bist du deutsch. Das hast du nicht von uns.“

Ipek Ipekcioglu weiß von solchen Dingen zu berichten. Die 29-Jährige ist Türkin, Lesbe, Sozialpädagogin und DJane. Heute Nacht ist sie vor allem DJane. Sie wirft einen kurzen Blick auf das Mischpult vor sich und spielt noch einmal Housemusik, jetzt ganz und gar orientalische. „Das nächste Lied ist cool. Im Text heißt es: Meine Haut ist verrückt nach einer dunkelhaarigen Frau.“ Ipek streckt ihre Arme aus, sie tanzt und schnippt mit Daumen und Zeigefinger. Derweil kreisen rote und gelbe Lichtflecken durch den Raum. Zwischen ihnen bewegen sich im Halbdunkel Männer und Frauen. Ein paar Männer pfeifen vor Freude. Ihre Hände kreisen in der Luft, sie lassen die Hüften wippen und die Bäuche tanzen. Es sind Muslime, sie genießen die Musik, manchmal küssen sie sich.

Einmal im Monat verwandelt sich der Klub SO 36 in der Kreuzberger Oranienstraße in einen orientalischen Salon. Riesige Stofftücher, von denen Kamele und Frauenaugen mit langen Wimpern herabblinzeln, werden zu einem Torbogen: „Homooriental Dancefloor.“ Ipek spielt fast alles: türkische, arabische, hebräische Pop-, House- und Technomusik. Und dazu tanzen „Homos und Heteros“, Muslime und Nichtmuslime.

Auch Ahmed ist irgendwo im Gedränge. Der 22-jährige ist gläubiger Muslim und schwul. Er lebt als Molekulargenetiker in Berlin. Seine Heimat ist Istanbul: Dort ist er aufgewachsen und dort lebt seine Familie. Bislang hat er seinen Eltern verschwiegen, dass er homosexuell ist. „Im Grunde ahnen sie, dass ich schwul bin. Aber sie wollen es lieber gar nicht erst wissen.“ Und so fragen sie ihn lieber unermüdlich, wann er denn endlich heirate und wen. Zumindest wird Ahmed wohl keine Frau heiraten. Mit seinem deutschen Freund teilt er sich eine kleine Wohnung und beide genießen ihr Leben.

Als gläubiger Muslim besucht Ahmed regelmäßig die Moschee. In der Gemeinde verschweigt er sein Schwulsein, denn für viele der anderen Gläubigen schließen sich Islam und Homosexualität aus. „Jeder interpretiert den Koran anders. Nimmt man ihn wörtlich, dann ist Homosexualität verboten. Zwei Männer sollen nicht unter einem Tuch sein, heißt es.“ Ahmed will wieder tanzen, rasch verrät er noch seine Art, den Koran zu lesen. „Wenn du jeden Tag betest und an Allah glaubst, dann ist es nicht logisch, dass dich irgendjemand zur Hölle schicken sollte.“

Doch bislang lehnt die muslimische Gemeinde gleichgeschlechtliche Partnerschaften strikt ab. Ebenso passen für einige deutsche Lesben und Schwule Homosexualität und Islam einfach nicht zusammen – viele sehen den muslimischen Glauben als überholte Tradition, als soziales Relikt. Und so bleibt für viele Homosexuelle, die dem Islam angehören, das Gefühl, zwischen den Stühlen zu sitzen. Auch Ipek kennt dieses Gefühl. Die selbstbewusste und burschikose Frau trifft oft auf Skepsis; und zwar von Nichtmuslimen.

Diese reagierten oft mit Überraschung auf eine lesbische Türkin wie sie. „Ja, aber wenn du als Lesbe lebst, dann bist du doch gar nicht mehr türkisch, sondern deutsch“, bekommt sie dann zu hören. So findet sich Ipek schnell in der „deutschen Ecke“ wieder. Doch dort will sie gar nicht hin. Aber mit ihrem kurzen Haar, dem Nasenpiercing und den vielen Ohrringen passt sie auch nicht so recht in die „türkisch-muslimische Ecke.“ „Sieht denn so eine echte Türkin aus?“ Ipek runzelt die Stirn, die Antwort ist wohl: Nein. Doch auch wenn sie nicht die üblichen religiösen Regeln befolgt, glaubt Ipek an Allah. Und ihre Religion prägt ihren Alltag beispielsweise dann, wenn sie in unangenehmen Situationen betet.

Doch manchmal kann alles auch ganz unproblematisch verlaufen. Als Ipek ihrer Mutter gestand, dass sie Frauen liebt, antwortete diese: „Du sollst einfach nur glücklich werden.“ Damit ist Ipeks Familie sicherlich eine Ausnahme, nicht nur weil sie türkisch ist. „Deutsche Familien sind auch starrsinnig“, wirft Ipek ein. In ihrem Fall war es nicht nur die Mutter sondern waren es auch die Großeltern in der Türkei, die sich nicht einmischten. Wenn Ipek sie besucht, dann zusammen mit ihrer deutschen Geliebten. Die Großeltern sind sehr stolz auf ihre erfolgreiche und unabhängige Enkelin. Und sie behaupten, die deutsche Geliebte kenne die türkischen Gepflogenheiten besser als Ipek. Sie schmunzelt. „Würde ich plötzlich einen Ehemann mitbringen, dann bekämen Oma und Opa einen Herzinfarkt.“

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