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Dispositionen des Raums

Der Architekt und Möbeldesigner Stefan Wewerka orientiert sich an Raumkonzepten im Spannungsverhältnis zwischen Konzentration und Weite. Detailarbeit ist ihm das A und O

Interview MICHAEL KASISKE

taz: Herr Wewerka, Ihre Möbelobjekte stehen in einem Spannungsverhältnis mit dem Raum. Was heißt für Sie Wohnumfeld?

Stefan Wewerka: Alles soll frei im Raum stehen. Ich hasse es, wenn Möbel entlang der Wand aufgereiht sind. Schauen sie sich den Schlosspark Glienicke an. Damals hat Peter Joseph Lenné lediglich ein paar Bäume weggenommen, einige stehen lassen – als Fachmann wusste er, welche krank sind oder welche älter werden können – und so Baumgruppen und Lichtungen gebildet. Eine fantastische, freie Landschaft, mit weiten Blickachsen bis nach Potsdam.

Was hat die Gartengestaltung mit Ihrem Raumkonzept zu tun?

Der Wechsel zwischen der Konzentration von Bäumen und der Weite der Landschaft entspricht meiner Anordnung von Möbeln im Raum. Diese Glasvitrine hier etwa habe ich nur ein wenig von der Wand abgerückt, sofort aber verändert sich die ganze Disposition des Raums.

Wenn ein Objekt im Raum steht, wird es Körper, vorher …

… ist es ein Teil der Wand. So ist es. Deswegen behandele ich die Wand als Wand, d. h. ich transformiere sie in Schränke, oder ich benutze sie als Hintergrund, vor dem sich etwas entwickelt. Das ist eine grundsätzliche Haltung. Das Vorbild in der Architektur ist Ludwig Mies van der Rohe. In seinem Häusern mit 15 mal 15 Meter Grundfläche steht hier ein Badeblock und dort ein Küchenblock, mehr nicht.

Leider ist von dieser Konzeption kaum etwas realisiert worden.

Von Mies gibt es fantastisch ausgereifte Entwürfe. Warum sollte man die heute nicht bauen? Man kann etwas addieren oder abziehen, aber das Grundprinzip wird behalten. In allen früheren Bauepochen hat der Großvater das Wissen an den Sohn, der Sohn an den Enkel weitergegeben, um die Erfahrung zu erhalten. Bauen ist keine Fünf-Minuten-Angelegenheit.

Obwohl sich im aktuellen Baugeschehen dieser Eindruck aufdrängt. Die Halbwertszeit eines Gebäudes scheint sich aus seiner steuerlichen Abschreibung zu berechnen.

So sieht das meiste Zeug draußen auch aus. Ein gutes Bauwerk braucht Reife. Das gilt für Möbel gleichermaßen. Meinen Stuhl „B 1“ stelle ich immer erneut in Frage. Nicht grundsätzlich, doch was man verbessern würde, wie man darauf sitzt und so weiter.

Dieser Stuhl ist doch bereits detailliert ausgearbeitet.

Das ist richtig, doch an einigen Stellen, denke ich, kann die Proportion oder die Konstruktion verfeinert werden. Die Entwicklung eines Stuhls ist unvorstellbar komplex: Ein Modell wird gebaut, ausprobiert, mit Sandsäcken belastet, alle Verbindungen noch mal gecheckt, dann das zweite Modell gebaut, bis hin zum x-ten Modell.

Die Einzelproportionen des „B 1“ finde ich gewagt, die spitzen Stuhlbeine, die breite Rückenlehne. Aber der Stuhl überzeugt als Gesamtkomposition.

Der Dreibeiner ist ein anwendbares Sitzgerät, mit dem Kragarm, der Lehne, dem Griff. Der ist sehr organisch. Der jüngere Stuhl „Olga“ ist ebenfalls griffig und sitzt sich sehr gut. Die Rückenlehne ist ein Brett, die Sitzfläche geht vorne auseinander. Die vorderen Beine sind angespitzt, die beiden hinteren gerade. Das ist alles.

Sie haben viel übrig für Detailarbeit.

Das ist das A und O. Wie der sicher gestaltende Handgriff, den ich von meinem Vater, der Bildhauer gewesen ist, gelernt habe. Unlängst sah ich im Haus einer befreundeten Malerin ein Fenster kitschbraun, bleiverglast – fürchterlich! Ich sagte, raus mit der Scheiße, wir holen etwas Farbiges aus der Glaserei. Dort lugte hinter einem Stapel was hervor, rot und blau. Ich habe das Glas raus gezogen, entstaubt und dann mit dem Glasschneider die Form geschnitten. Keine Stunde, da war das Fenster fertig.

Diese Unmittelbarkeit erinnert mich an Ihr erstes Gebäude – mit Werner Rausch – im Studentendorf Eichkamp.

Das waren zwei kleine Schulgebäude mit Walmdächer aus der Nazizeit. Die hat der Magistrat uns Studenten 1947 zum Wohnen zur Verfügung gestellt, eine Art Selbsthilfeprojekt. Wir haben darin 28 ganz winzige Wohnungen ausgebaut. Der Flur lief zwischen zwei Schrankreihen, darüber wurde eine Mittelwand gezogen. Auf beiden Seiten – über dem Flur und den Schränken – lagen die Betten, mit einer Leiter erschlossen. Am Fenster war ein Brett als Arbeitsfläche.

Das müssen Zellen für das Minimum gewesen sein.

Die Zimmer waren gerade 1,86 Meter breit und 3,40 Meter tief. Zwei Architekten mit Baskenmützen waren die ersten Besucher. Der eine mit der dicken Zigarre sagte zu mir: „Na, Kleiner, zeig mal, was ihr hier gemacht habt.“ Das war Hans Scharoun, der andere Hugo Häring. Die haben sich auf die Schenkel geschlagen vor Vergnügen über unsere Arbeit. Aus dem Nichts etwas Gutes entwickelt. Leider sind die Häuser abgerissen.

Diese Einbauten erscheinen bereits wie Skulpturen.

Das Wort Skulptur wollen wir mal weglassen. Obwohl ein gutes Möbel immer künstlerische Qualitäten hat. Zu mir sagen die Leute: Dein Tisch „M 1“ ist eine Skulptur. Dabei ist das ein ganz normaler Tisch, der nur anders aussieht, der eine andere Gruppierung vorgibt.

Man sitzt nicht wie Hühner auf der Stange oder einfach frontal voreinander, sondern angenehm indifferent gegenüber.

Die Gestalt fand sich im richtigen Moment. Ich bin morgens um sieben Uhr in die Tischlerwerkstatt gegangen mit einem Zettel, auf dem die Form skizziert war. Dort habe ich mit einer Latte das Kreissegment auf eine Platte gezeichnet. Nach dem Ausschneiden wusste ich: Statt der Beine verwende ich einen Kasten. Zur Mittagspause ging meine Frau durch die Werkstatt, guckte ganz schnell, aber mehr geradeaus – so ist meine Frau – und sagte: Das ist er. So ein Telegrammstil, das ist professionelles Verhalten, das ich von meinen Eltern kenne. Das sitzt drin.

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