: Kollektives Winken
300 Gestalten bewegen sich abnorm und mit „verbotenen“ Gesten durch den Hamburger Hauptbahnhof: Aktion „Radioballett“ von Kunsthalle und FSK voller Erfolg
Wie ferngesteuert bewegten sich gestern rund 300 Gestalten im Hamburger Hauptbahnhof. Zeitgleich führten sie alle dieselben Bewegungen aus, streckten die Hand zum Gruß, gingen plötzlich in dieselbe Richtung, hielten inne, setzten sich auf mitgebrachte Plastiktüten, die Hand zum Betteln ausgestreckt, winkten dann plötzlich kollektiv mit roten Tüchern (siehe nebenstehende Fotoserie): Was PassantInnen Rätsel aufgab, war die überaus gelungene Aktion „Radioballett“ des Programms „Formierte Öffentlichkeit – Zerstreute Öffentlichkeit“, zu dem die Kunsthalle Künstler aus Hamburg und Berlin eingeladen hatte.
Für Außenstehende oft gar nicht zu erkennen, hörten die Beteiligten – größtenteils über Kopfhörer – alle die gleiche Radiosendung: das Sonntagsradio des Freien Sender Kombinats (FSK). Denn von dort aus wurde der „Tanz“ choreographiert – der übrigens teilweise wirklich einer war, was für erhebliche Verwirrung bei den Reisenden sorgte.
Die Aktion wollte den Blick schärfen für die schleichende Privatisierung zuvor öffentlicher Räume wie sie seit geraumer Zeit vor allem an Bahnhöfen zu beobachten ist. Und für die damit einhergehende Praxis der Bahn AG, bestimmte Gesten oder Körperhaltungen in ihren Hallen zu genehmigen, andere jedoch zu verbieten, obwohl diese sich oft nur einen Deut von den erlaubten unterscheiden.
So untersagt die Hausordnung etwa ausdrücklich das „Sitzen oder Liegen auf dem Boden“ und das „Betteln, Herumlungern oder Belästigen von Personen“. Ein Verbot des „Radioballetts“ konnte die Bahn vergangene Woche aber nicht erwirken. Das Oberlandesgericht beschied, die Hausordnung sei nur geltend zu machen, wenn für diejenigen, die sich im Bahnhof aufhalten, die Freiheit von Meinung und Kunst gewährleistet bliebe.
Nicht hinreichend darüber informiert waren offenbar die wenigen anwesenden Einsatzkräfte der Hamburger Polizei. Von konsternierten Reisenden nach dem Grund für das Spektakel gefragt, wussten die Beamten nur von „irgendeiner Radiosendung“ zu berichten, in der den Leuten vor Ort „Befehle“ erteilt würden.
Christiane Müller-Lobeck
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