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Minderheiten wehren sich

Nach dem Rückzieher der Regierung beim Antidiskriminierungsgesetz protestieren Behinderten- und Homo-Verbände. Frauenrat wirft Rot-Grün Feigheit vor. Auch religiöse Minderheiten fordern Schutz

von CHRISTIAN RATH

Ausgerechnet jetzt, da Europa erschrocken auf die Wahlerfolge von Jean-Marie Le Pen in Frankreich reagiert, droht in Deutschland das geplante Antidiskriminierungsgesetz (ADG) zu scheitern. Die Bundesregierung hat angekündigt, es werde vor den Wahlen kein Gesetz mehr geben. Widerstand gegen diesen Rückzieher kommt aber noch von den Fraktionen im Bundestag und von den Betroffenen.

Schon in der rot-grünen Koalitionsvereinbarung von 1998 war ein „Gesetz gegen Diskriminierung“ vorgesehen. Rückenwind gab es dann auch durch die EU. Deren Ministerrat verabschiedete im Jahr 2000 eine Richtlinie, die die Diskriminierung nach Rasse und ethnischer Herkunft im Geschäftsleben verhindern will. Wer benachteiligt wird, soll auf Abschluss eines Vertrages klagen können oder wenigstens Schadensersatz erhalten. Doch dann passierte erst einmal lange Zeit nichts.

Arbeitsminister Walter Riester (SPD), der Regelungen für den beruflichen Bereich erarbeiten sollte, erklärte sofort, dass in dieser Wahlperiode nichts zu erwarten sei. Couragierter zeigte sich immerhin Justizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD). Ihr Gesetzentwurf vom letzten November, der Diskriminierungen bei der Wohnungssuche oder in der Gastronomie vermeiden wollte, ging sogar deutlich über die EU-Vorgabe hinaus. Neben Rasse und ethnischer Herkunft wurden hier auch weitere Merkmale erfasst, zum Beispiel Geschlecht, Behinderung, Religion und sexuelle Orientierung.

In der Folgezeit waren aber fast nur noch die Gegner des Projekts zu hören. Hauseigentümer und Versicherungen sahen die Vertragsfreiheit in Gefahr. Selbst die Kirchen standen diesmal auf der Gegenseite. Sie wollen, dass religiöse Ungleichbehandlung zulässig bleibt.

Volker Beck, der rechtspolitische Sprecher der grünen Bundestagsfraktion, versuchte noch einen Kompromiss zu finden. Beck bot den Kirchen an, dass sie in ihren Einrichtungen auch weiterhin Mitglieder der eigenen Konfession bevorzugen dürfen. Doch die katholische Kirche blieb stur. Sie will, dass zum Beispiel eine private Vermieterin auch künftig ihre Zimmer nur an katholische Studenten vermieten darf. Ein Konsens ist nicht in Sicht.

Justizministerin Däubler-Gmelin hat deshalb angekündigt, das Gesetz werde erst nach den Wahlen in Angriff genommen. Die Verschiebung ist möglich, weil die EU-Richtlinie erst im nächsten Sommer umgesetzt sein muss. Doch die angekündigte Verschiebung hat nun die Betroffenen mobilisiert, deren Schutz nicht auf der EU-Richtlinie, sondern nur auf rot-grünem Goodwill beruht. Sie wissen: Bei einer neuen Regierung könnte das Gesetz ganz anders aussehen. „Noch in dieser Legislaturperiode“ solle das ADG kommen, fordert deshalb Brigitte Pathe, die Vorsitzende des Deutschen Behindertenrates. Und für den Lesben- und Schwulenverband ist das Gesetz ein wichtiger „Wahlprüfstein“. Inge von Bönninghausen, Vorsitzende des Deutschen Frauenrates, warf der Bundesregierung sogar „Feigheit“ vor.

Möglich wäre eine kurzfristige Verabschiedung im Bundestag immer noch. Volker Beck und auch der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Ludwig Stiegler wollen sich dafür einsetzen. Schließlich braucht das Gesetz nicht die Zustimmung des Bundesrates. Es bleibt aber das Problem mit der Religion. Die Kirchen (und jetzt auch die SPD) bestehen auf Streichung im ADG, was aber die Vertreter religiöser Minderheiten ablehnen. So hält Michel Friedman vom Zentralrat der Juden ein Antidiskriminierungsgesetz ohne Schutz vor Antisemitismus für „unglaubwürdig“ (siehe Interview). Ayyub Köhler, Generalsekretär des Zentralrats der Muslime, sieht das ähnlich: „Was bleibt von dem Gesetz noch übrig, wenn es die Diskriminierung von Muslimen nicht untersagt?“

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