wahrheitsfindung: Eine Tagung befasst sich mit dem jüdischen Sport
Verschwiegen und vergessen
Im Juni 1943 publizierte Otto Nerz, der erste Reichstrainer des deutschen Fußballs, eine als „Bericht über die Juden im Sport“ angekündigte Artikelserie. Ein Schandfleck deutscher Sportgeschichte sind diese drei Texte in dem Berliner 12 Uhr Blatt, nutzten sie doch alle verfügbaren antisemitischen Stereotypen der NS-Hetzpropaganda, um eine angeblich jüdische Weltherrschaft im kommerziellen Sportbetrieb zu konstruieren. „Der Jude“, schrieb Nerz, übe zersetzenden Einfluss auf das Vereinsleben aus, agiere im Sport als „Schieber hinter der Kulisse“, habe immer alles daran gesetzt, auch die Sportpresse zu dominieren. Selbst beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) habe er sich einschleichen wollen, der jüdische Kandidat für eine 1927 anstehende Geschäftsführerwahl sei indes durchgefallen. Warum, das meinte Nerz noch exakt rekonstruieren zu können: „In der Bundesführung wehte kein judenfreundlicher Wind. Sie war judenfrei.“ Der Zweck der Publikation war offenkundig: Sie diente als geistige Vorbereitung für die Vernichtung des jüdischen Sports.
Ursprung und Anlass der Hetzartikel von Nerz, der 1932 noch in die SPD eingetreten war, konnte auch die Konferenz „Juden im europäischen Sport: Zwischen Integration und Exklusion“ nicht abschließend klären, zu der Michael Brenner, Professor für Jüdische Geschichte und Kultur an der Universität München, und Moshe Zimmermann, Professor für Deutsche Geschichte an der Universität Jerusalem, nach München eingeladen hatten. Doch brachte die Tagung viel Licht in vergangene jüdische Alltagswelten, die bei der Herausbildung „einer säkularen jüdischen Identität enorm wichtig waren“ (Zimmermann).
Die meisten Vorträge der Historiker, Sportwissenschaftler und Anglisten aus Österreich, Israel, Deutschland, Großbritannien, der Schweiz und den USA konzentrierten sich auf die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen, eine Blütephase jüdischer Sportgeschichte. Naturgemäß stand ein Schlüsselbegriff im Zentrum der Diskussionen, den Max Nordau 1898 während des zionistischen Kongresses in Basel formuliert hatte: Das „Muskeljudentum“, das dem antisemitischen Klischee eines „degenerierten, schlaffen jüdischen Körpers“ entgegenwirken sollte. Nie hat Nordau, der zweite Mann hinter Theodor Herzl, diese Wortschöpfung erklärt. Sie gründete indes auf der Idee einer „muscular christianity“, die bereits im viktorianischen England von Theologen entwickelt worden war.
Ob die Gründung von Sportvereinen eine Reaktion auf die neue Sportbegeisterung war oder ob Juden ausschließlich in zionistischen Vereinen Sport möglich war – das war regional äußerst unterschiedlich. Dem 1904 betriebenen Ausschluss von Juden in österreichischen Turnvereinen jedenfalls folgte die Deutsche Turnerschaft nicht, sodass bis zur „Machtergreifung“ 1933 etwa 90 Prozent der deutschen Juden in konfessionell ungebundenen Klubs wie etwa Tennis Borussia Berlin Mitglied waren.
Wie der Anglist Heiner Gillmeister (Bonn) mit sieben biografischen Miniaturen ausführte, beeinflussten jüdische Sportler und Funktionäre ganz maßgeblich die internationale Sportentwicklung. Der Belgier Max Kahn etwa war 1904 nicht nur Mitbegründer der Fifa, sondern wirkte auch in olympischen Gremien. Und Randolph Manning betrieb 1900 die Gründung des DFB (und wurde in der Festschrift zum Zentenarium nicht ein einziges Mal erwähnt), arbeitete die erste DFB-Satzung nach englischem Vorbild aus und gründete 1913 außerdem den Fußballdachverband in den USA. Zudem setzte er sich 1950 in der Fifa-Exekutive vehement für die Wiederaufnahme des DFB in den Weltverband ein. Ohne diesen Einsatz, bemerkte Gillmeister mit feiner Ironie, „wäre Deutschland 1954 vielleicht nicht Weltmeister geworden“.
In vielen europäischen Staaten spielte (und spielt) der Sport eine bedeutende Rolle im jüdischen Alltag. Das zeigten die Vorträge von Jack Jacobs (New York), der über den jüdischen Sport im Zwischenkriegs-Polen sprach, und von John Efron (Berkeley), der über die zuweilen seltsame jüdische Unterstützung für die Tottenham Hotspurs referierte. Sehr anregend geriet auch der Vortrag von John Hoberman (Austin, Texas), der auf die unrühmliche Rolle des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) hinwies und deren mangelnde historische Aufarbeitung kritisierte. Ohnehin war eine wichtige Erkenntnis der Münchner Tagung, dass viele Sportverbände das heikle Thema nicht aufgearbeitet, sondern vielmehr verschwiegen haben. ERIK EGGERS
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