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Prima Kneipenszenen

Am Dienstag las Frank Schulz aus seinem hoch gelobten Roman „Morbus fonticuli oder Die Sehnsucht des Laien“

Es war Dienstagabend, es war warm, dennoch hatten sich mehr Leute in dem kleinen Raum versammelt, als der Raum zu fassen vermag. Als vor drei Tagen in den Räumen des Berliner Eichborn Verlages eine Lesung aus dem vielfach hoch gelobten Roman „Morbus fonticuli oder Die Sehnsucht des Laien“ stattfand – eine Lesung, an der neben dem Autor Frank Schulz noch seine Kollegen Karen Duve und Steffen Kopetzky, die freundlichen Schulz-Kritiker Rayk Wieland und Stefan Maus, eine Hälfte des Zeichner Duos Rattelschneck teilnahmen. Das Publikum blieb trotz Hitze und Überfüllung ganz ruhig im Konferenzraum und verteidigte sein bisschen Platz.

Das liegt zum einen am Buch. Als „Morbus fonticuli“ Ende des letzten Jahres erstmals erschien, platzierte gleich eine begeisterte Presse die Kritiken dieses wirklich famosen Buches an die prominentesten Stellen ihrer Feuilletons: die Neue Zürcher Zeitung entblödete sich nicht, den Autor mit Lawrence Sterne zu vergleichen, die FAZ hingegen befand, dass angesichts dieses Buches „der alte Arno Schmidt“ vor Neid erblassen müsste, der Spiegel bemühte den frühen Eckhard Henscheid. Der damalige Verleger, Gerd Haffmans, schließlich wollte in diesem Buch partout „die neuen Buddenbrooks“ erblicken.

Wenn man von dieser nervigen Vergleichssucht einmal absieht, hatten die meisten Kritiker jedoch echt – Frank Schulz hat einen sehr guten „Schelmenroman“, wie er es selbst nennt, geschrieben, ein Buch, das mit Sicherheit zu den besten der deutschsprachigen humoristischen Literatur gehört. Die Geschichte des ehemaligen Anzeigenblattredakteurs Bodo Morten, der ein Doppelleben führt, bietet ihrem Autor viel Platz für die Beobachtung der Hamburger Provinz – Schulz schreibt, wie die Lesung am Dienstag erwies, großartige Kneipenszenen, er schreibt extrem gute Dialoge, und sein Deutsch lässt nichts missen. Im Gegenteil, manchmal ist Schulz mit manchen Wortauftürmungen und arg herbeibemühten Alliterationen ein bisschen in seinen Stil verliebt.

Ein weiterer Grund, warum das Feuilleton so geschlossen auf das zweite Werk eines Autor reagierte, dessen Debüt, „Kolks Blonde Bräute“, längst nicht zu einem literarischen Must avanciert war: Die Erstauflage von Schulz’ Roman erschien im Haffmans Verlag, der kurz darauf Konkurs anmeldete. So wurde Schulz’ Roman als „das letzte Haffmans-Buch“ besprochen, was ihm eine enorme Publicity bescherte – die Erstauflage des Romans war schnell vergriffen und eine Neuauflage durch Haffmans nicht mehr zu leisten.

Nach langen Wirren und einem dämlichen, von Haffmans verursachten Gezerre um die Rechte hat nun der Eichborn.Berlin Verlag das Buch neu herausgebracht. Durchaus ein Wagnis, denn heutzutage ist nicht sicher vorauszusagen, ob sich das Feuilleton und das Publikum noch an etwas erinnern, das bereits ein halbes Jahr zurückliegt. Doch in diesem Fall, und das haben der Andrang und die Stille bei der Lesung am vergangenen Dienstag erwiesen, hat sich die Liebe zu diesem Buch bewahrt. So kam Wolfgang Hörner bei der Lesung, die ja eh sehr lustig war, irgendwann aus dem Lachen nicht mehr heraus, Frank Schulz hingegen war – den Kneipenszenen angemessen – prima betrunken.

JÖRG SUNDERMEIER

Frank Schulz: „Morbus fonticuli oder Die Sehnsucht des Laien“. Eichborn, Berlin 2002, 766 Seiten, 34,90 €

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