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Liebt eure Theater ein bisschen mehr

Eine Lanze für das große Schauspieltheater bricht das Alternative Theatertreffen, zu dem Claus Peymann in das Berliner Ensemble eingeladen hat. Besonders Roberto Ciullis Lorca-Inszenierung mit Schauspielern aus Teheran ist ein Glücksfall

von ESTHER SLEVOGT

Wer heutzutage verkündet: „Theater muss immer ein Fest sein!“, macht sich eigentlich schon strafbar. Im Ton der Berliner Theaterkritik herrscht schon länger ein Hauch von Tugendterror vor. Eine Inszenierung muss nach Schweiß riechen, und zwar nach Gedankenschweiß. Am härtesten trifft es inzwischen jene, die diesen Tugendterror vor zwei Jahren einmal installierten: mit ihrer Verkündigung, dem Theater sei der Auftrag abhanden gekommen und man selbst wolle ihn ab jetzt wieder wahrnehmen. Thomas Ostermeier mit seiner Schaubühne nämlich, der sein Theater von Anfang an als mentale Maßnahme gegen die Beliebigkeit der Spaßgesellschaft verstanden wissen wollte.

Die Ansicht, dass Theater nicht in ersten Linie Theater ist, sondern irgendwelche diffusen Aufträge jenseits der allgemeinen Zuschauerbeglückung erfüllen muss, hat sich inzwischen offensichtlich durchgesetzt. Und sie beginnt, sich gegen das Theater selbst zu wenden. Man muss bloß die Kritiken zu Ostermeiers letzter Inszenierung, „Goldene Zeiten“, lesen, die wirklich ein Fest gewesen ist, um vor dem Ton der standrechtlichen Erschießungskommandos in den Kulturredaktionen zu erschaudern.

Aber wir wollen nicht von Ostermeier, sondern von Claus Peymann reden, der dem Berliner Theaterkritiker der FAZ, Matthias Ehlert, jenen skandalösen Satz vom Theater, das immer ein Fest sein muss, in die Feder diktierte. Und weil die meisten Inszenierungen, die in diesem Jahr zum Theatertreffen eingeladen wurden, diesen höchst persönlichen Anspruch des Berliner-Ensemble-Intendanten nicht erfüllten, lud er in sein Haus ausgewählte Inszenierungen zum Alternativen Theatertreffen ein. Pollesch, das sei organisiertes Laienspiel, moserte Peymann publikumswirksam und lud große Berliner Schauspieler, wie Inge Keller und Jutta Lampe, die inzwischen auswärts spielen, ans BE. Kaum war das Projekt an die Öffentlichkeit gedrungen, da höhnte es schon aus Kolumnen und Artikeln. Es wurde als durchsichtige Werbemaßmahme verspottet, als wäre Werbung nicht genau das, was das Theater generell in diesen notleidenden und theaterfeindlichen Zeiten braucht. Das Spektakel sei ein „Altherrenwitz“, zitierte der Spiegel das Jurymitglied Georg Dietz, der sich mit diesem Ausspruch an die einsame Spitze der Humorlosenfraktion katapultierte.

Schon Peymanns augenzwinkernde Ankündigung seiner Gastspielreihe als das „einzig wahre Theatertreffen“ zeugt von mehr Selbstironie, als bei sämtlichen Kritikern des Projekts beobachtet werden konnte. Was ihnen auch entging: Die Gegenveranstaltung strahlt positiv auf das Theatertreffen selbst aus, das gelegentlich als scheintot bezeichnet wurde und erst durch den Widerspruch wieder quicklebendig und als Instanz behauptet wird.

Letztes Jahr dominierten die alten Meister von Zadek bis Peymann das Programm. In Frankfurt lud das Theater am Turm den Nachwuchs zur Experimenta 7, die ja auch eine Art Alternatives Theatertreffen war. In diesem Jahr dominieren die Jungen, und die Alten stellen klar: Wir sind auch noch da. Das ist kein Verbrechen und sollte auch nicht als solches geahndet werden. Und im ideologischen Generationengeplänkel wird offensichtlich kaum Theater geguckt. Denn sonst müsste ein Aufschrei des Glücks durch die Feuilletons und die Zuschauerreihen gehen, dass eine Aufführung wie Roberto Ciullis „Bernarda Albas Haus“ auch in Berlin zu sehen ist.

Die Inszenierung des Leiters des Theaters an der Ruhr ist die Frucht mehrjähriger Bemühungen des Mülheimer Theaters um eine Wiederbelebung des kulturellen Dialogs mit dem Iran. Anfang des Jahres hat Ciulli das letzte Stück des spanischen Dramatikers Federico Garcia Lorca vor seiner Ermordung durch die Faschisten mit Schauspielern vom Teheraner Dramatic Arts Center inszeniert. Lorcas Stück über die Enge der archaisch-patriarchalen Gesellschaft im Vorkriegsspanien wirkt, angewandt auf die Verhältnisse der vom fundamentalistischen Islam geprägten und unterdrückten iranischen Gesellschaft, erschreckend aktuell.

Auch die Einladung von Thomas Langhoffs gefeierter Münchener Strindberg-Inszenierung „Der Vater“ mit Inge Keller, Cornelia Froboess und Lambert Hamel ist doch keine strafbare Handlung, sondern ein Glück für jeden, der großes Schauspieler-Theater liebt. Das gilt auch für Edith Clevers „Glückliche Tage“ von Beckett, wo Jutta Lampe die Winnie spielt. Dass sich die ein oder andere BE-Produktion auch auf dem Spielplan wiederfindet, liegt in der Natur der Sache. Warum soll ein Theater nicht für sich selbst werben? Auch die anderen Bühnen Berlins nutzen das Theatertreffen für Eigenwerbung.

Das klassische Schauspieler-Theater ist in Berlin rar geworden, seit die Generationendebatte die Dramaturgieetagen eingeschüchtert hat. Es darf ruhig mal ein kleines Festival dafür geben. Liebt eure Theater ein bisschen mehr, möchte man den Berlinern verordnen. Sonst sind sie nämlich eines Tages alle zu.

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