: Unterschiede im Detail
Anthroposophisch orientierte Fachschulen, die Erzieher ausbilden, sind heute keine Seltenheit mehr. Das Studium der Sozialpädagogik ist aber bisher nur an staatlichen Fachhochschulen möglich
von HOLGER KLEMM
Gibt es bei Waldorf Schulsozialarbeiter? „Nein, nirgends; jedenfalls nicht an normalen Waldorfschulen.“ Detlef Hardorp, schulpolitischer Sprecher der Berlin-Brandenburger Waldorfschulen, begründet das Fehlen anthroposophischer Schulsozialarbeiter mit mangelndem Geld für den Aufbau eines Studienganges Sozialarbeit und Sozialpädagogik. Außerdem sei es von Anfang an Aufgabe der Lehrer gewesen, auf die sozialen Probleme und das soziale Lernen einzugehen. Nur an heilpädagogischen Schulen und Jugendhilfeeinrichtungen arbeiten Sozialarbeiter und Sozialpädagogen. Studiert haben sie an staatlichen oder konfessionellen Hoch- und Fachhochschulen.
Eine eigenständige Steiner’sche Sozialarbeitswissenschaft gibt es somit nicht. Was verwundert, wo doch das Soziale immer im Vordergrund stand. „Soll die Menschheit künftig sozial gerecht leben können, dann wird sie zunächst sozial richtig ihre Kinder erziehen müssen“, sagte Steiner zur Eröffnung der ersten Waldorfschule 1919 in Stuttgart. Zum Wie der sozialen Erziehung blieb er allerdings wortlos.
Der Unterschied zu staatlichen oder konfessionellen Einrichtungen liegt für Klaus Jacobsen, Sozialarbeiter am nordrhein-westfälischen Schloss Hamborn besondere in den Details. Die Jugendlichen, die er im Heim betreut und auf eine Ausbildung vorbereitet, sind für ihn nicht verhaltensauffällig. Für Jacobsen sind sie verhaltensoriginell. Wer woanders als Schulverweigerer gilt, wird hier als schulmüde bezeichnet. Beides Versuche, keine negative Schablone anzulegen, keine, die abstempelt. Und: „Hinter den Auffälligkeiten liegen Stärken.“ Gerade diese Stärken seien der Ansatz, an denen man anknüpfen könne. Das ist sozialarbeitswissenschaftlich sicher ein alter Hut und gewiss kein Unterschied zur herkömmlicher Sozialarbeit. Aber im Schloss Hamborn haben die Jugendlichen eine Chance, ihre Stärken auch zu entdecken. Ob beim Brötchenbacken oder beim Kühemelken, beim Hobeln oder in der Medienwerkstatt. Viele Wege führen zum Ziel.
Für die Erzieherausbildung gibt es hingegen drei eigene Fachschulen: In Stuttgart, Kassel und Dortmund.
„Bei uns gibt es einen Erziehermangel“, sagt der Leiter der Stuttgarter Freien Fachschule für Sozialpädagogik, Peter Lang. Zwar würden durch die geburtenschwachen Jahrgänge weniger Kinder eingeschult, aber das Arbeitsfeld wachse trotzdem. Zum einen gebe es mehr Ganztagsangebote. Des Weiteren komme die Zeit vor der Kindergartenreife hinzu: Eltern-Kind-Gruppen, Spielgruppen, Wiege- oder Krabbelstuben und Kinderkrippe. Als Drittes wachse die Bedeutung der Elternarbeit. Viele Eltern seien bei der Erziehung unsicher. Die Gesprächs- und Fragebereitschaft steige.
Jede der drei Erzieherschmieden hat ein Spezifikum. In Dortmund muss sich jeder Fachschulstudent im zweiten Jahr für eine Spezialisierung entscheiden: entweder Kindergartenarbeit oder Schule und Hort. Kassel setzt auf einen hohen Praxisanteil in der Ausbildung. Und in Stuttgart legt man Wert auf die Gleichgewichtung der drei Teile wissenschaftliches, methodisch-didaktisches und künstlerisch-soziales Arbeiten. Daher hat der künstlerisch-kreative Ansatz ein vergleichsweise starkes Gewicht.
Eine weitere Besonderheit der Freien Fachschule in Stuttgart sind die Fortbildungen für Erzieher, die der Waldorfpädagogik nicht kundig sind. In Intensivkursen von dreimal vier Wochen, einem Erprobungsjahr und einer Colloquiumsarbeit können Jahr für Jahr 30 bis 35 Teilnehmer anthroposophisch „nachgerüstet“ werden. Die Fortbildungen gibt es seit nunmehr 35 Jahren – länger als die Erzieherausbildung, die vor 28 Jahren begann. Die Voraussetzungen, die erfüllt werden müssen, um zur Erzieherausbildung zugelassen zu werden, sind klar definiert: die Mittlere Reife, ein zweijähriges Praktikum – oder Abitur und ein Jahr Praxis – „möglichst in einer Waldorfeinrichtung“, wie der Schulleiter betont. Oder, als weitere Variante, man hat eine zweijährige Ausbildung zum Sozialassistenten abgeschlossen. Das Rudolf-Steiner-Institut für Sozialpädagogik in Kassel bildet neben Jugend- und Heimerziehern und Heilpädagogen auch Sozialassistenten aus. Seit vergangenem Jahr staatlich anerkannt, ist es die Ausbildung zu einem „Schmalspurerzieher“ oder Kinderpfleger, wie es früher hieß. Ziel ist es, mit drei Tagen Schule und zwei Tagen Praktikum pro Woche eine Vororientierung über die Vielfalt der Arbeitsfelder zu bieten.
Der Leiter der Stuttgarter Fachschule, Peter Lang, ist ein radikaler Gegner der Sozialassistenz-Ausbildung. „Denn wenn eine Kommune mehrere Bewerber für eine ausgeschriebene Stelle hat, dann ist klar, dass sie sich für den billigeren entscheidet.“ Nur bei anschließender Ausbildung als Erzieher sei die Vorerfahrung ein Gewinn. Das Leitbild für die Erzieherausbildung und die spätere Arbeit ist für Manfred Schulze „Fragen, irren, üben“. Zum Selbstverständnis der Erzieherausbildung gehören Landwirtschaft, Handwerke wie zum Beispiel Korbflechten und Musik. „Nicht aus Nostalgie, sondern um entfremdete Selbstverständlichkeiten nachvollziehbar zu machen. Und um das Gelernte auch mit den Kindern zu tun.“ Der Anspruch ist hoch: „Wir wollen Universalpraktiker ausbilden.“ Daher gibt es auch Unterrichtsfächer wie Puppenspiel, Reigentanz, Geschichten erzählen. Auch das Erlernen eines Instruments ist obligatorisch.
Auch an sich selbst legt Manfred Schulze hohe Maßstäbe an: Gerade ist er dabei, das erste Curriculum für einen Fachhochschulstudiengang mit anthroposophischem Ansatz zu entwickeln – für Diplom-Sozialarbeiter und -Sozialpädagogen. „Doch das dauert vielleicht noch fünf Jahre“, glaubt Schulze.
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