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… und raus bist du!taz-Debatte „Berlin nach Pisa“ (Teil 7)

Kitapflicht einführen von ERTEKIN ÖZCAN

Nicht erst seit den Ergebnissen der Pisa-Studie ist klar: Von Chancengleichheit kann im deutschen Bildungssystem kaum die Rede sein. Ganz im Gegenteil: Kinder aus armen und eingewanderten Familien haben es schwer. In Berlin besuchen sie vor allem Kitas und Grundschulen in den Innenstadtbezirken. Was tun mit diesen Bildungseinrichtungen? Wie können sie allen Kindern gleiche Chancen eröffnen? Diesen Fragen widmet sich immer dienstags eine Debattenserie der taz. Letzte Woche schrieb die Erziehungswissenschaftlerin Havva Engin: „Altersgemäße Sprachförderung: Fehlanzeige“

Unsere Kinder wachsen in einem deutsch-türkischen Umfeld auf. Sie sollen Deutsch lernen, das ist klar. Und das ist unter türkischen Eltern auch nicht umstritten. Dabei spielen ohne Zweifel Kindertagesstätten und Vorklassen eine wichtige Rolle. Hier muss zweierlei passieren: Die Eltern müssen dazu gebracht werden, ihre Kinder in diese Einrichtungen zu schicken. Aber auch die Einrichtungen selbst müssen sich wandeln. Denn sie haben bislang nur unzureichend auf 40 Jahre Einwanderung reagiert.

Die Eltern sollen ihre Kinder rechtzeitig auf die Schule vorbereiten. Dazu gehört auch, dass die Kinder gut Deutsch lernen. Kitas und Vorschulen sind dafür zentral, die Eltern allein können das oft nicht leisten. Denn ein großer Teil der Eltern hat selbst keine oder nur sehr geringe Deutschkenntnisse. Daher müssen die Kitas die Sprachdefizite der Kinder ausgleichen.

Ein großer Teil der Mütter und/oder Väter türkischer Herkunft ist arbeitslos beziehungsweise Sozialhilfeempfänger. Sie sind zu Hause und haben sehr geringe Einkommen. Wenn sie ihre Kinder ab dem ersten Lebensjahr in die Kita schicken wollen, haben sie keine Dringlichkeitsstufe. Dann müssen sie lange warten.

Kinder ab drei Jahren haben einen Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz. Wenn die Eltern arbeitslos oder Sozialhilfeempfänger sind, haben ihre Kinder eine Betreuungszeit von in der Regel vier Stunden. Dies reicht natürlich nicht aus, die Kinder auf die Schule vorzubereiten. Doch viele Eltern nehmen dieses Recht gar nicht wahr – aus kulturellen und finanziellen Gründen. Deshalb sollte ab dem drittem Lebensjahr Schritt für Schritt die Kitapflicht eingeführt werden. Dies muss für die Kinder der sozial schwachen Familien kostenlos sein. Beginnen könnte man mit einem einjährigen obligatorischen Besuch von Einrichtungen im Elementarbereich für alle Kinder, deutscher und nichtdeutscher Herkunft. Dieses Vorschuljahr könnte unmittelbar vor Schulbeginn stattfinden.

Eine Vorschulpflicht aber nützt nur, wenn sich Kitas und Schulen auch verändern. Denn eine Studie in Wedding hat gezeigt, dass ein Kitabesuch für den Erwerb der deutschen Sprache nicht reicht. Trotz Kitabesuch waren die Deutschkenntnisse vieler Grundschulkinder mangelhaft. Die Kinder sind von der Kita nicht ausreichend gefördert worden. Trotz jahrzehntelanger Einwanderung sind Kitas und Schulen noch immer monolingual und monokulturell ausgerichtet. Dabei sieht die Lebensrealität vieler Kinder in Berlin ganz anders aus: multikulturell und mehrsprachig. Die Hamburger Erziehungswissenschaftlerin Ursula Neumann betont: „Die sprachlichen Fähigkeiten eines Kindes sind stets eine Gesamtheit; die Förderung des einen nützt auch dem anderen, die Vernachlässigung der einen Sprache schadet der anderen.“ Dieser Realität müssen sich die Bildungseinrichtungen stellen. Neben Deutsch müssen die großen Minderheitensprachen wie Türkisch als Muttersprache in das Erziehungsprogramm Schritt für Schritt aufgenommen und ab der ersten Klasse als zeugnis- und versetzungsrelevantes Fach mit einem interkulturellen Ansatz in der Schule angeboten werden. Zudem müssen Kinder mit und ohne deutsche Muttersprache grundsätzlich gemeinsam unterrichtet werden. Dazu sollten die Einzugsbereiche der Schulen neu definiert und bestimmt werden.

Die Kinder müssen – systematisch ab dem Kindergarten – in der deutschen Sprache gefördert werden. Dazu sind aber nur besonders ausgebildete, kompetente ErzieherInnen und LehrerInnen in der Lage – und an denen mangelt es.

Auch das Angebot Deutsch als Zweitsprache für die SchülerInnen nichtdeutscher Herkunftssprache, die keine oder sehr wenige Deutschsprachkenntnisse haben, muss ausgebaut werden. Auch die LehrerInnen, die Deutsch als Zweitsprache unterrichten, brauchen eine besondere Ausbildung.

Im Bildungswesen ist ein grundsätzliches Umdenken gefragt. Nur wenn dies geschieht, können Kinder der kulturellen Minderheiten ausreichend gefördert werden.

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