piwik no script img

Das Omen der Plastikuhr

Mit der Ausstellung „Expo.O2“ eröffnete vor einer Woche die größte Projektionsfläche der Schweiz. Das Megaprojekt umfasst drei Seen, vier Städte, fünf Kantone und achtunddreißig Ausstellungen

„Die Expo existiert, also existiert die Schweiz“, so das Motto von Präsident Villiger

von YVES ROSSET

Auf dem Weg vom Bieler Bahnhof zum Eingang des „Arteplage“ – so werden die einzelnen Ausstellungsgelände von „Expo.02“ genannt – sind noch Arbeiter damit beschäftigt, riesige Swatch-Uhren an einer Säule zu montieren. Die Plastikuhren haben für die Region einen hohen symbolischen Wert, sie verkörpern die gelungene Erneuerung einer langen Tradition: Dank ihres großen Verkaufserfolgs konnte die Schweizer Uhrenindustrie den Anschluss an den Weltmarkt bewahren. Kann es also als gutes Omen für die jetzige Landesausstellung gelesen werden? Die Eidgenossenschaft ist ja das einzige Land der Welt, das sich in solcher Form regelmäßig selbst darstellt. Eine ebenfalls lange Tradition, die sich nur durch eine ständige Erneuerung erfolgreich fortsetzen konnte.

War die erste Ausstellung 1883 in Zürich noch fast ausschließlich eine Handels- und Exportmesse, so diente die letzte „Expo“ 1964 in Lausanne vor allem als Anlass, das Land zugleich zu präsentieren wie zu hinterfragen. Das ging damals so weit, dass der Bund eine große soziologische Umfrage über die Gewohnheiten der Schweizer zensierte, weil die Antworten zu subversiv waren. Dafür wurde zur Eröffnung der Ausstellung eine 60 km lange Autobahn zwischen Genf und Lausanne erbaut, die erste dieser Art im Land.

Achtunddreißig Jahre später rast und staut sich der Verkehr auf einem dichten Netz von Betonspuren. Zeit also für die Eidgenossen, sich die Frage zu stellen, wie es weitergehen wird. Kurz vor halb zehn am Tag der Eröffnung wartete die Besuchermenge gutmütig und sehr pünktlich vor den geschlossenen Pforten der „Arteplage“ am Bieler See. Neben Schülern mit Rucksäcken und den irgendwie typischen Schweizer-Landesausstellung-Besuchern ebenfalls mit Rücksäcken, die schon am ersten Tag dabei sein wollen, waren auch nervöse Mitarbeiter, stoische Angestellte der Sicherheitsfirma „Securitas“ und viele Pressevertreter dabei. Plötzlich zählten die Kinder in einer Mischung aus Schwytzerdütsch und Englisch den Countdown runter. Bei null blieben die Zäune still. Alle lachten. Was zählten eigentlich einige Sekunden Verspätung, wenn die ganze Ausstellung sowieso ein Jahr später als geplant eröffnet?

Am Abend vorher hatte in Neuenburg die offizielle Eröffnungsfeier stattgefunden. Der gesamte Bundesrat, die Generaldirektion von „Expo.02“ und andere auserwählte Gäste konnten einen Teil der Megashow live beiwohnen, der gleichzeitig auf den weiteren „Arteplages“ in Yverdon-Les Bains, Murten und Biel aufgeführt wurde. Für die musikalische Begleitung sorgten vier Orchester, wobei jeder einzelne Teil der Musik über Lautsprecher an die anderen Orte übertragen wurde. Nur eine perfekt synchronisierte technische Leistung machte also die Wahrnehmung der gesamten Komposition möglich. Eine gute Metapher für die logistische Herausforderung, eine solche Ausstellung verteilt über mehrere Orte zu veranstalten und sie dennoch als einheitliches Ganzes zu präsentieren.

In seiner Rede erinnerte der Schweizer Präsident Kaspar Villiger an die Präsenz der Schweiz bei der Weltausstellung 1992 in Sevilla. Ausgehend von dem Motto „Die Schweiz existiert nicht“, das der Künstler Ben damals zur einzigen Botschaft des Schweizer Pavillons gemacht hatte, fasste Villiger die Bedeutung der 6. Landesausstellung mit einem sehr cartesianischen Satz zusammen: „Die Expo existiert, also existiert die Schweiz.“ Ob damit einzig die Fähigkeit des Landes geehrt werden sollte, ein solches hochkomplexes Projekt zu verwirklichen, bleibt offen. Es kann auch sein, dass eine solche Verstärkung des nationalen Selbstbewusstseins durch das Medium „Expo“ zurzeit gut gebraucht werden kann. Schließlich hat die Schweiz gerade vor zwei Monaten für ihren UNO-Beitritt gestimmt, nachdem sie zuerst Swissair und neulich noch ihren Starbotschafter Thomas Borer verloren hatte.

Dabei wäre die Expo selbst fast gescheitert. Als 1995 der Bundesrat sich für das „Drei-Seen-Land“ als Veranstaltungsort entschied, eine Region entlang des Jura im Westen des Landes, in der der so genannte Röstigraben, also die Sprachgrenze verläuft, war die Expo noch für 2001 geplant und sollte den Eintritt in das neue Jahrtausend zelebrieren. Enttäuschte, zerstrittene oder ausgebrannte Mitarbeiter auf allen Ebenen („die Expo hat mich fast getötet“ bekannte die Künstlerin Pipilotti Rist, die zwischen 1997 und 1999 die künstlerische Leitung übernommen und mit ihren Mitarbeitern die Grundideen für die Realisierung geliefert hatte) sowie Schwierigkeiten in der wirtschaftlichen Planung bedrohten das Projekt so sehr, dass der Bundesrat 1999 den Industriellen und Swatch-Guru Nicolas Hayek beauftragte, die Machbarkeit des Unternehmens grundsätzlich zu prüfen. Hayek schlug eine effektivere Exekutivleitung vor und schaltete das Ganze auf Sparflamme. Die Expo wurde auf das Jahr 2002 verschoben und die Zahl der Ausstellungen nach unten gedreht.

Von diesen zahlreichen Krisen war am ersten Tag auf den „Arteplages“ keine Spur mehr zu sehen. Die Sonne schien und die umgebenden idyllischen Naturlandschaften waren so verführerisch wie die zahlreichen, in Uniformen gekleideten Mitarbeiter, die mit „Gruezi“, „Bonjour“ oder „Bongiorno“ die ersten Besucher begrüßten. Über eine halbe Millionen Karten mehr als geplant wurden bereits vor der Eröffnung verkauft, und die erste Berichterstattung klang eher positiv: „Wer wandert, führt die Sinne ins Freie“, schrieb die Neue Zürcher Zeitung. Tatsächlich ist körperliche, aber auch geistige Mobilität erforderlich, um die Vielfalt der „Expo.02“ zu genießen. Mit ihrer geografischen Streuung lädt sie vor allem dazu ein, einen ungeheuer schönen Teil des Landes zu entdecken – und einen noch immer ziemlich teuren Schweizerfranken.

Infos unter www.wxpo.02.ch

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen