piwik no script img

„Hier gehen dir die Haare hoch“

Trotz früher Anstoßzeiten bei der heute beginnenden Fußballweltmeisterschaft und Premiere-Krise: Berlins Fußballkneipen bleiben zuversichtlich. Nur kleine Betreiber befürchten ohne exklusive Kick-Bilder Umsatzeinbußen. Denn die Fans kommen mittlerweile zu allen Spielen – wegen der Atmosphäre

von MARKUS MAXIMILIAN POHL

„Zu den Deutschlandspielen wird’s brechend voll, jedes Mal!“ Manfred Kurtz ist in seinem Optimismus felsenfest. Der kräftige 33-Jährige mit Kurzhaarfrisur und „Security“-Aufschrift auf dem T-Shirt ist Geschäftsführer von „Kruse’s Sport’sbar“ – ein Großraumladen des ehemaligen Profikickers Axel Kruse, der zu den Profiteuren des Fußballkneipenbooms der letzten Jahre gehört. Seit dreieinhalb Jahren gibt es die Bar an der Jannowitzbrücke. 600 Quadratmeter im Gewölbe unter der S-Bahn, drei Großbild- und sieben gewöhnliche Fernseher. Bedienungen, jung, hübsch und ausnahmslos blond, servieren Burger und Spareribs, an der Wand Fotos prominenter Sportler und ein Bayern-München-Trikot von Lothar Matthäus. 1.200 Gäste haben hier Platz. Bei Übertragungen wichtiger Spiele platzt der Laden aus allen Nähten. „Manchmal muss ich die Tür zuhalten“, sagt Kurtz.

Der Trend zum Kneipenerlebnis Fußball ist eng verbunden mit der kostspieligen Expansion von Leo Kirchs Bezahlfernsehen Premiere: Der Sender überträgt die Bundesliga live und zeigt viele Champions-League-Spiele exklusiv. Rund 1.000 Lokale locken mittlerweile in Berlin mit Premiere-Bildern. Vor einem Jahr waren es nur 500. Das heute beginnende Championat in Japan und Südkorea ist die erste WM, die überwiegend im Bezahlfernsehen läuft. Sie sollte Premiere den wirtschaftlichen Durchbruch bringen und den Fußballbars neue Gäste. Doch die ungünstigen Spieltermine am Vormittag trüben die Erwartungen. Und das Kirch-Imperium ist pleite. Ob Premiere die WM durchhält, ist längst nicht klar.

„Ich mach mich da nicht verrückt“, hält Kurtz dagegen. „Wenn nicht Premiere, wird es ein anderer machen“, sagt er. Ohnehin würden die Leute mittlerweile auch bei freien Fußballübertragungen in die Kneipe strömen. „Das ist der Spaßfaktor, gemeinsam mit tausend Leuten zu gucken und nicht alleine zu Hause mit einer Dose Bier“, schwärmt Kurtz: „Wenn die hier Tor schreien, gehen dir die Haare hoch!“ Die Sportbar ist eine der noblen Sorte: „Bei manchen Spielen haben wir hier zu 90 Prozent Banker, nur Schlips und Kragen“, sagt Kurtz. Für die WM hat er schon jede Menge Buchungen von Firmen: Für das Spiel Schweden gegen Argentinien hat Scandinavian Airlines 80 Leute zum Frühstück angemeldet, zu Kamerun gegen Irland will Sat.1 mit einer Gruppe Kameruner kommen.

Von solch regem Interesse kann Dietmar Liebich nur träumen. Der schmächtige 47-Jährige betreibt seit einem Jahr das „Café Monu“, eine Eckkneipe in der Schöneberger Monumentenstraße. Im Fenster hängt die rote Premiere-Leuchtreklame. Es ist sechs Uhr abends und Liebich steht alleine in seiner Kneipe: Holztische, ein paar Bilder an der Wand, zwei Fernseher, 1 Euro 25 Cent für eine Boulette. „Wegen zwei, drei Leutchen, die Korea gegen Senegal sehen wollen, mach ich nicht auf“, sagt Liebich. Nur wenn sich vorher genügend Leute anmelden, will auch er für WM-Spiele morgens aufsperren.

Acht, neun Stammgäste hat Liebich normalerweise, nur wenn Premiere wichtige Fußballspiele überträgt, ist der Laden voll. „Dann brummt der Bär“, sagt er und lacht. Rund 150 Euro kostet Liebich das Premiere-Abo im Monat. Es rechnet sich. „Mein Leben hängt nicht davon ab“, sagt der Kneipenwirt. Aber deutliche Umsatzeinbußen hätte er schon, falls der Bezahlsender wirklich Konkurs gehen sollte. Liebich bleibt Optimist: „Irgendwie wird’s schon weitergehen.“

Gelassenheit auch bei Wolfgang Holst, 79-jähriger Expräsident und Immer-noch-Aufsichtsrat von Hertha. Er sitzt vor dem „Holst am Zoo“, 1977 von ihm gegründet, eingeklemmt in der Joachimstaler Straße zwischen Sexshop und Spielsalon. Draußen ein Schild „Deutsche Küche“, drinnen Lampen, die wie Fußbälle aussehen, und mit Andenken übersäte Wände. „Wir waren die Ersten, die Premiere in Berlin hatten“, sagt Holst. Selbstverständlich hat sein Lokal zur WM offen.

Holst wählt seine Worte sorgsam wie ein Politiker: „Die extremen Anstoßzeiten stellen uns vor eine neue Aufgabe. Wir werden sehen, wie unsere fußballsportlichen Freunde das annehmen.“ Sechs weitere Gaststätten betreibt Holst in Berlin, in allen läuft Fußball. Falls das Pay-TV kollabieren sollte, gilt seine Sorge den Vereinen, weniger seinen Läden. „Das ist nicht existenzbedrohend“, meint Holst. „Uns fehlt dann nur ein angenehmer Mosaikstein in der bunten Palette unseres Angebots“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen