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Auf dem Schoß von Rudi Völler

Ob er es dieses Mal bis in die Duschkabine der Jungs schafft? Erneut darf der bayerische Interviewtechniker Waldemar Hartmann im japanischen WM-Hotel der deutschen Mannschaft reportern und lustige Analysen in die Heimat durchgeben

von SIMON FELDMER

Japan ist für Waldemar Hartmann eigentlich keine Reise mehr wert. Irre Strecken seien da zu bewältigen, erinnert sich der BR-Weltenbummler an seine letzte Dienstfahrt ins ferne Asien, dann die komischen Schriftzeichen, und Englisch spreche auch fast keiner. Vier Wochen Winterolympiade vergisst man nicht so schnell. „Mein Bedarf an Japan ist seit Nagano 98 gedeckt“, sagt Hartmann knorrig. Doch alles Lamentieren nützt nichts. Jetzt ist Fußballweltmeisterschaft. Und da muss Waldemar Hartmann natürlich wieder los – sozusagen als Dienst am fußballverrückten Vaterland.

Das hat Hartmann, der Moderator gewordene Stammtisch der ARD-Sportberichterstattung, nun davon, dass ihn in Deutschland alle so gern haben. Zweimal wurde er bereits vom Magazin Sport Bild zum beliebtesten Moderator der Republik gewählt – vor Kerner und Jauch. Während ein Großteil der öffentlich-rechtlichen WM-Kommentatoren von Netzer über Delling zu Poschmann im langweiligen deutschen Studio vor sich hin analysieren, sitzt Waldi im Luxustempel Sheraton Phoenix Golf Resort in Miyazaki, dem Hotel der deutschen Elf. Der aktuelle Job in Südjapan werde kein leichter, schwant Hartmann schon bei einer der letzten anständigen Mahlzeiten, die er auf heimischem Boden in einem Münchner Spezialitätenlokal zu sich nimmt. Das liegt nicht nur an drohendem Sake und Walfleisch.

Die teuer von der Kirch-Gruppe erstandenen Rechte für 24 von 64 WM-Spielen und marginale Spielsequenzen in der Vor- und Nachbetrachtung wollen wenigstens gut verkauft sein. Im Rundherum-Programm wartet die ARD deswegen erstmals mit Ausschnitten von Pressekonferenzen und Trainingseinheiten der Nationalelf auf. Den Rest erledigt Hartmann vor Ort, sicher auch live aus dem Mannschaftsquartier frei nach seinem Motto: „Ich drechsle meine Sätze eben nicht für das Feuilleton, sondern eher für die Fans aus der Südkurve.“ Richtig so.

Zu alledem wird Hartmann bestimmt wieder alle Register der erdverbundenen Moderatorenschule ziehen. Sich mal hier bei Rudi Völler auf den Schoß setzen und mal dort die torflautige Sturmhoffnung Jancker nach dem Spiel fragen: „Du, sag mal, Carsten, zwei Torschüsse in 90 Minuten, das kann es doch nicht sein, oder?“ Nicht als Stil, sondern als Technik mag Hartmann diese kumpelhafte Art der Interviewführung bezeichnen. „Ich bekomme so Sachen aus den Leuten raus“, freut er sich, „die sie sonst nie erzählen würden.“

Bei seinem letzten WM-Trip in Frankreich war Waldi sogar kurz davor, mit dieser bodenständigen Recherchetechnik bis in die Mannschaftsdusche vorzudringen. Da zittert die Fernseh-Südkurve im heimischen Wohnzimmer natürlich vor innerer Erregung. Der volksnahe Waldi kommt im Fernsehen einfach gut rüber und kann deswegen sagen: „Ich spüre schon eine gewisse Sympathie bei den Leuten.“ Sagt’s und kratzt sich verschmitzt mit dem linken Zeigefinger an der kahlen Oberlippe, genau dort, wo einst der berühmte Schnauzbart wuchs.

Seine Sympathiewerte weiß der Bayer auch außerhalb des Zeit raubenden Sportreporter-Jobs einzusetzen. Sei es als „Testimonial für Glaubwürdigkeit und Gemütlichkeit“, wie er das polyglott nennt, auf bayerischen Litfaßsäulen für den heimischen Zimmererverband. Oder als überzeugter Anhänger Edmund Stoibers, für den er schon mal den Einheizer auf CSU-Wahlveranstaltungen gibt. Laut Hartmann muss man das in einem größeren Zusammenhang sehen. „Mein Menschenrecht auf freie Meinungsäußerung nehme ich in Anspruch“, sagt er. Waldi und die Menschenrechte also – da geht nichts drüber.

In den nächsten Wochen dreht sich ohnehin alles um Tore und nicht um große Politik. Doch Waldis Gastspiel in Japan könnte schneller zu Ende sein, als manchem lieb ist. Scheiden Rudi und seine Recken aus, muss der rasante Reporter auch heim nach München. Berichte aus einem verwaisten Mannschaftshotel interessieren selbst in Deutschland niemanden. Da fühlt sich Hartmann dann doch von den ARD-Gremien an der Sportmoderatorenehre gepackt – komisches Japan hin oder her. „Diesen Beschluss halte ich für sehr fragwürdig“, sagt der gebürtige Nürnberger in gewohnter Direktheit. Doch mit 53 Jahren kann den frisch verheirateten Hartmann auch diese schicksalhafte Verknüpfung seiner eigenwilligen Südkurventechnik mit dem Leistungsvermögen deutscher Fußballer nicht aus der Ruhe bringen. „Ich rege mich darüber nicht auf. Ich bin in den letzten Jahren viel ruhiger geworden.“ Wer genau hinschaut, kann das sicher auch während der WM-Vorrunde beobachten.

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