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Bildungsschock im Ballungsraum

In einer bundesweit einzigartigen Erhebung hat Berlin die Sprachkompetenz von Vorschulkindern untersucht. Zwei Drittel sprechen unzureichend Deutsch

aus Berlin SABINE AM ORDE

Pisa hat Berlin sich gespart. Die Hauptstadt ist Anfang der Woche endgültig aus dem Schulvergleich unter den deutschen Bundesländern ausgestiegen, der Ende des Monats veröffentlicht wird und für viel Nervosität in den Kultusministerien sorgt. Doch wer glaubt, jetzt könne man in der Hauptstadt endlich wieder zum bildungspolitischen business as usual übergehen, täuscht sich gewaltig. Denn seit gestern steht die Hauptstadt unter einem ganz eigenen Bildungsschock.

Zwei Drittel der Kinder, die im Sommer in den Berliner Innenstadtbezirken eingeschult werden, können für die Schule nicht ausreichend Deutsch. Bei Kindern nichtdeutscher Herkunftssprache sind es sogar 90 Prozent. Und das, obwohl 97 Prozent aller Kinder eine Kindertagesstätte oder zumindest die Vorschule besucht haben. Das ist das alarmierende Ergebnis einer Untersuchung, die Berlins Schulsenator Klaus Böger gestern vorgestellt hat. Ein besonderes Berliner Problem sieht der SPD-Politiker darin nicht: „Würde man die Untersuchung in anderen deutschen Großstädten durchführen, sähe das Ergebnis ähnlich aus.“

Bislang aber ist die Untersuchung bundesweit einzigartig: Insgesamt wurden fast 10.000 Kinder mit einer Sprachstandserhebung namens „Bärenstark“ (siehe Kasten) getestet, je zur Hälfte etwa Kinder deutscher und nichtdeutscher Herkunft. Das sind alle Kinder, die ab August die erste Klasse in den vier Berliner Bezirken besuchen, in denen besonders viele Migranten leben. 31 Prozent der Kids müssen gefördert werden, weitere 36 Prozent sogar intensiv.

Splittet man das Ergebnis nach Kindern deutscher und nichtdeutscher Familiensprache auf, ist es noch dramatischer: Fast 90 Prozent der Migrantenkids brauchen zusätzliche Unterstützung, 60 Prozent von ihnen sogar intensive Förderung. Mangelnde Deutschkenntnisse sind aber nicht nur ein Problem dieser Kinder: Auch fast 13 Prozent der deutschsprachigen Kids benötigen Sprachförderung. „Ohne Förderung ist bei diesen Kindern ein Scheitern in der Schule vorprogrammiert“, sagte der Schulpsychologe Andreas Pochert, der die Untersuchung geleitet hat.

Die Kinder, so Pochert weiter, könnten Körperteile nicht benennen, einfache Kurzsätze nicht ohne Fehler formulieren und schlichte Unterschiede wie groß und klein, dick oder dünn nicht erkennen. „Wenn die Lehrerin sagt, legt das Buch auf den Tisch, dann haben diese Kinder damit Schwierigkeiten.“

Für den Schulpsychologen sind die Ursachen für die Sprachmisere klar: Die soziale Situation der Familien ist schlecht, ihr Kommunikationsverhalten dürftig, der Fernsehkonsum viel zu hoch. „In diesen Familien wird zu wenig miteinander geredet“, sagt Pochert. Allerdings erhebt „Bärenstark“, den die Berliner Schulverwaltung lieber nicht Test, sondern Sprachstandserhebung nennt, nur die Deutschkenntnisse der Kinder. Wird zu Hause perfekt Türkisch oder Arabisch gesprochen, kommt das in der Studie nicht vor.

Trotz des alarmierenden Ergebnisses will Berlins Schulsenator weitermachen wie bisher. „Ich werde das Ruder jetzt nicht rumreißen“, sagte Böger und kündigte Fortbildungsprogramme für Erzieherinnen und GrundschullehrerInnen, neue Sprachkurse für nichtdeutsche Mütter und die „noch bessere“ Konzentration des Förderunterrichts Deutsch als Zweitsprache an den besonders betroffenen Grundschulen an. Mehr Lehrerstellen oder eine bessere Ausstattung der Kindertagesstätten aber wird es nicht geben. „Sie wissen ja, Berlin hat kein Geld“, sagte der Senator. Immerhin soll es für Deutsch-Förderunterricht endlich einen Lehrplan geben, den Berlin – wie bereits Niedersachsen – von Bayern übernehmen will. Den Test will Böger künftig in allen Berliner Bezirken durchführen, an einer Erhebung für Drittklässler wird derzeit gearbeitet.

Unter Berliner Lehrern und Erziehungswissenschaftlern wird allerdings ein generelles Umdenken immer stärker eingeklagt. „Wir müssen die Familiensprachen der Kinder stärker mit einbeziehen, sonst funktioniert das ganze nicht“, fordert zum Beispiel Jörg Ramseger, Schulpädagoge an der Freien Universität. Das aber will der Schulsenator nicht. Böger: „Unsere Priorität muss auf der deutschen Sprache liegen.“

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