: Es wurde viel geflirtet
Erinnerungen an die alte Ringbahn: Ingeburg Seldte, 82
In den letzten beiden Kriegsjahren war ich dienstverpflichtet als Nachrichtenhelferin. Anfang 20 war ich da und wohnte mit meinen Eltern in der Nähe vom Schlesischen Bahnhof, heute Ostbahnhof, musste aber zum Hohenzollernring. Da bin ich dann Ringbahn gefahren. Und weil man sonst ja kaum mehr was kaufen konnte, habe ich mir 1. Klasse geleistet. In den gepolsterten Sitzen versank man richtig. Wie ein weiches Sofa. Da wurde sehr viel geflirtet. Es war ja auch nicht so voll wie in der 2. Klasse. Ganz leicht kam man miteinander ins Gespräch. „Ach bitte, fährt der Zug auch bis…?“ Ich entsinne mich an einen gut aussehenden Offizier. Der fragte mich tatsächlich: „Entschuldigen Sie, fährt der Zug bis Westend?“ Für die weitere Unterhaltung fehlte uns leider der Mut. Wir guckten einander nur noch verstohlen an. Bevor er Westkreuz aussteigen musste, kam er doch noch zu mir, verbeugte sich und sagte: „Sie haben die schönsten braunen Augen der Welt.“
Leider gibt es auch andere Erlebnisse. Vor allen, wenn man unterwegs von Fliegeralarm überrascht wurde und nach der Entwarnung schnell nach Hause wollte. Da war nichts mehr mit 1. Klasse. Es gab ein irrsinniges Gedrängel in den Zügen. Ich war ein knackiges junges Mädel, und da ist es mir oft passiert, dass Männer sich an mich ran drängten, sich rieben und zu schnaufen anfingen. Meine Freundin hat mir dann den Tipp mit den Schuhen gegeben. Wenn mir einer unangenehm kam, haute ich mit meinem Absatz, ich trug gern hochhackige Schuhe, mit voller Wucht dem Mann auf den Fuß. Da hatte der an was anderes zu denken.
PROTOKOLL: WALTRAUD SCHWAB
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen