piwik no script img

„Konsequent einschreiten heißt nicht hart zuschlagen“

Dieter Glietsch, der neue Präsident der Berliner Polizei, will Fehlverhalten von Polizisten nicht mit dem Begriff „schwarze Schafe“ abtun. Vielmehr müssten Strukturen überprüft werden, die solches Verhalten fördern. Fehler solle man öffentlich eingestehen, sonst leide das Ansehen der Behörde

„Für Fehler muss man sich nicht schämen, aber man muss sie eingestehen“

von PLUTONIA PLARRE und ROBIN ALEXANDER

taz: Herr Glietsch, was verstehen Sie als Berlins neuer Polizeipräsident unter einer Hauptstadtpolizei?

Dieter Glietsch: Ich wünsche mir eine weltoffene, bürgerfreundliche Polizei. Die nicht kleinlich und an der falschen Stelle reagiert. Die weiß, wo man Schwerpunkte setzen und mit Nachdruck und Konsequenz tätig werden muss. Eine Polizei, die eine gewisse Großzügigkeit und Toleranz an den Tag legt.

Sie verdanken den neuen Job ihrem SPD-Parteibuch. Haben Sie als ungewollter und ungeliebter Kandidat bei der Berliner Polizei einen schweren Stand?

Ich bin davon überzeugt, dass ich mein Amt meiner beruflichen Erfahrung und Qualifikation verdanke. Ich bin jetzt vier Wochen im Amt und in einer offenen und vorbehaltlosen Weise aufgenommen worden, dass ich mir das nicht hätte besser wünschen können.

Warum sind Sie eigentlich Polizist geworden?

Ich hatte die Schule satt. Ich besuchte ein Gymnasium im nordhessischen Korbach. Die mittlere Reife habe ich gerade so erreicht. Das war schwierig, weil ich in den beiden Jahren davor als freier Mitarbeiter für die Hessische Allgemeine als Lokalreporter mit dem Fahrrad über die Dörfer getingelt bin, um über Kanalbauten in Schwanefeld und Ähnliches zu schreiben. Das hat sich nicht gut auf meine schulischen Leistungen ausgewirkt. Ich überlegte mir, bevor ich im Abitur scheitere, werde ich lieber Polizist. Ich hatte eine gewisse Nähe zu dem Beruf, mein Vater war auch Polizist.

Vom einfachen Wachtmeister arbeiteten Sie sich zum höchsten Polizeibeamten Nordrhein-Westfalens hoch. Sind Sie karrierebewusst?

Ich habe Freude an meinem Beruf. In allen Phasen hatte ich mit Kollegen und Freunden zu tun, die diese Freude verstärkt haben. Nur selten in meiner Karriere habe ich mir gewünscht, wo anders zu arbeiten.

Schildern Sie uns eine solche Situation?

Das war die Fahrschulausbildung 1966. Wir wurden als Gruppe von einem Fahrlehrer betreut. Dieser Mann gehörte einfach nicht in die Polizei. Der behandelte 18-jährige Fahrschüler in einer menschenunwürdigen Weise – das ging bis zu Schlägen auf den Hinterkopf und gröbsten Beleidigungen. Am zweiten oder dritten Tag brach ein Fahrschüler weinend über dem Lenkrad zusammen. Da war ich es leid: Ich beschwerte mich beim Lehrgangsleiter.

Sie waren der Einzige, der den Mut fand, sich zu beschweren?

Ich war Lehrgangssprecher, obwohl ich der jüngste war. Ich empfand es als meine Pflicht, den Vorgesetzten einzuschalten.

Und das Resultat?

Wir bekamen einen anderen Fahrlehrer. Später kam heraus, es hatte schon früher Beschwerden gegeben. Und eigentlich wusste jeder, dass dieser Mann auf untragbare Weise mit den Auszubildenden umging.

Es gab folglich Strukturen, die diesen Mann sein Unwesen treiben ließen.

Ja, es gibt in der Polizei immer wieder Strukturen, Verhältnisse, Problembelastungen und auch ungünstige personelle Konstellationen im Führungsbereich, die zur Häufung von Fehlverhalten führen können. Dies darf man nicht damit abtun, indem man dieses Fehlverhalten schwarzen Schafen zuschreibt. Strukturen muss man permanent überprüfen, ob sie Fehlverhalten fördern.

Welches Bild hat man in Ihrer alten Heimat Nordrhein-Westfalen von der Berliner Polizei?

Das Bild der Berliner Polizei wird von den Berliner Kollegen selbst geprägt.

Wie sieht das aus?

Die Berliner Polizisten sagen von sich selbst: Wir sind halt ein bisschen rustikal. Damit soll gesagt werden, wir sind nicht so etepetete, nicht so vornehm wie andere. Wir treten mit Nachdruck auf und sind konsequenter als andere.

Und entspricht dieses Bild der Wirklichkeit?

„Deeskalation und Null Toleranz gegen Gewalt schließen sich nicht aus“

In mancher Beziehung schon. Es ist auch nicht falsch, grundsätzlich Wert darauf zu legen, dass polizeiliches Einschreiten eindeutig und konsequent sein soll. Konsequenz ist nicht mit hartem Auftreten und schon gar nicht mit hartem Zuschlagen zu verwechseln. Das meint die Berliner Polizei aber auch nicht mit rustikal.

Nach dem Castor-Tranport ins münsterländische Ahaus im Jahr 1998 hat sich der damalige nordrhein-westfälische Innenminister Franz Kniola (SPD) öffentlich über das aggressive und unkollegiale Verhalten der Berliner Einheiten beim Einsatz beschwert.

Diesen Sachverhalt kenne ich genau. Ich persönlich musste damals klären, was an den Informationen dran war, die Kniola zu seiner Äußerung veranlasst hatten. Das Ergebnis: Nichts war dran.

Verbuchen Sie auch unter „rustikal“, was dem Palästinenser Khaled M. passiert ist? Der hatte am 23. Mai an der Wegstrecke von US-Präsident George W. Bush eine Palästinafahne hochgehalten und fand sich nach einer Polizeiaktion mit einem Armbruch im Krankenhaus wieder.

Es wäre eine Bagatellisierung, überzogene Gewaltanwendung als rustikal zu bezeichnen. Ob dem so war, wird zurzeit in einem Ermittlungsverfahren geklärt. Ich schließe nicht aus, dass die Ermittlungen zu diesem Ergebnis führen, aber das muss man abwarten. Die Aussagen der Zeugen sind sehr widersprüchlich.

Sie gelten als scharfer Analytiker, der für unorthodoxe Entscheidungen steht. Mit der Berliner Polizei, die den Ruf hat, nicht gerade die Schlausten in ihren Reihen zu haben, werden Sie vielleicht noch ihr blaues Wunder erleben.

Dass die Berliner Polizei intellektuell nicht auf der Höhe ist, kann ich überhaupt nicht bestätigen. Ich habe in den vier Wochen schon mit vielen Führungskräften Gespräche geführt. Hier wird genauso analytisch gedacht und intellektuell anspruchsvoll diskutiert wie in Nordrhein-Westfalen.

Über den Polizeinachwuchs hört man anderes. Der Chef der Berliner Schutzpolizei hat schon 1999 in Bezug auf die Youngsters über „erschreckende Bildungslücken, fehlende soziale Kompetenz und mangelnde Kommunikationsfähigkeit“ geklagt.

Ähnliches habe ich in Nordrhein-Westfalen auch schon gehört. Wenn die Leute den Anforderungen nicht gerecht werden, kann es aber nicht nur daran liegen, dass sie mit unzureichenden Qualifikationen zur Polizei gekommen sind. Wir müssen uns auch selbst an die eigene Brust klopfen und fragen: Was machen wir in der Ausbildung falsch? Wir leisten schließlich einen ganz erheblichen Beitrag zur Sozialisation, wenn die Leute im Alter von 17, 18 Jahren zu uns kommen.

Kommen wir zu einem anderen Thema. Sie streben einen grundlegenden Organisationsumbau bei der Berliner Polizei an. Ist das nicht nur ein Tarnbegriff, um Einsparungen durchzusetzen?

Nein, überhaupt nicht. Es geht in erster Linie darum, die Behörde durch eine möglichst flache Hierarchie zukunftsfähig zu machen. Es geht darum, dass die Ebenen, auf denen die eigentliche Arbeit geleistet wird, einen möglichst großen Handlungs- und Gestaltungsspielraum bekommen, um effektiver werden zu können.

Mit dem Abbau der Hierarchie werden alte Besitzstände in Ihrer Behörde angetastet. Haben Sie keine Angst, über Fallstricke zu stolpern?

Ich führe die Diskussion so, dass ich mich vor Fallstricken nicht zu fürchten brauche.

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) ist voll auf Konfrontationskurs, was die Sparvorhaben der rot-roten Regierung angeht. Sie sind langjähriges Mitglied dieser Gewerkschaft. Werden Sie versuchen, die GdP mit ins Boot zu holen?

Ich werde versuchen, alles dafür zu tun. Aber es muss auch eine gewisse Offenheit bei den Verantwortlichen der Berufsorganisationen geben. Es gibt Äußerungen von Berufsorganisationen, die mir mit der legitimen Vertretung der Interessen der Bediensteten nicht mehr hinreichend erklärbar sind.

„Nur selten in meiner Karriere habe ich mir gewünscht, wo anders zu arbeiten“

Sie gelten als Polizeiführer, der auf Deeskalation setzt. Passen Sie nach Berlin?

Vielleicht gerade deshalb. Der Begriff der Deeskalation wird vielfach als politischer Kampfbegriff missbraucht, und nicht als das verwendet, was er eigentlich ist. Nämlich als Bezeichnung für eine Strategie, die im täglichen Dienst genauso Sinn macht, wie bei herausragenden Problemlagen. In der Öffentlichkeit werden ganz falsche Gegensätze aufgebaut. Nach dem Motto: Deeskalation bedeutet immer Zurückweichen vor Gewalt. Dabei schließen sich Deeskalation und null Toleranz gegenüber Gewalt nicht aus. Deeskalation kann auf Dauer nur dann Erfolg haben, wenn zugleich deutlich wird, dass die Polizei mit null Toleranz gegen Gewalttäter vorgeht.

Haben Sie den Ehrgeiz, die fünfzehnjährige Tradition der Krawalle am 1. Mai zu beenden?

Ich hätte schon den Ehrgeiz, am Ende meiner Amtszeit sagen zu können, die Polizei hat alles Menschenmögliche getan, um an einer Lösung mitzuarbeiten. Wir können uns nicht nur damit beschäftigen, wie die Kräfte noch schneller werden, wenn Gewalt ausbricht und Deeskalation im Vorfeld nichts gebracht hat. Wir müssen uns auch mit Leuten wie Professor Grottian zusammentun, der schon am diesjährigen 1. Mai versucht hat, die Entwicklung positiv zu beeinflussen.

Für den Fehler eines Mitarbeiters ihrer Pressestelle haben Sie sich unlängst öffentlich entschuldigt. Können sich Berlins Polizisten in Zukunft nicht länger darauf verlassen, dass ihr Präsident in jedem Fall hinter ihnen steht?

Kein Mitarbeiter hat Anspruch darauf, dass der Polizeipräsident in jedem Fall, gleichsam bedingungslos, hinter ihm steht. Fehler sind nichts, wofür man sich schämen muss, aber man muss sie eingestehen und sich gegebenenfalls bei den Betroffenen entschuldigen.

In Berlin wurde es bei der Polizei bisher eher so gehalten, dass interne Kritik nicht nach außen dringen sollte, um das Ansehen der Behörde nicht zu schmälern.

Ich kann nicht beurteilen, ob das wirklich so war. Ich bin aber überzeugt, dass es dem Ansehen der Polizei mehr schadet, wenn man die eigenen Versäumnisse nicht zugibt und nicht bereit ist, um Verzeihung zu bitten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen