: Israel zäunt sich ein
Siedleraktivisten protestieren gegen den Baubeginn von Befestigungen entlang der grünen Linie. Stattdessen wollen sie die autonomen Palästinensergebiete einzäunen. Die Zahl wilder Siedlungen im Westjordanland wird zum Problem für die Armee
aus Jerusalem ANNE PONGER
Die israelische Regierung hat gestern mit dem Bau eines so genannten Sicherheitszauns begonnen, um die Gefahr palästinensischer Anschläge zu begrenzen. Das erste Stück des elektronisch überwachten Zauns im nördlichen Teil der grünen Linie zwischen Israel und dem Westjordanland soll 130 Kilometer lang sein. Die Kosten für jeden Kilometer liegen bei etwa einer Million Dollar.
Bei der sonntäglichen Kabinettssitzung kam es zu einer heftigen Debatte über das Vorhaben. Die Siedlerlobby in der Regierung lehnt den Zaun ab, da er einen gefährlichen Vorgriff auf eine künftige israelisch-palästinensische Grenze darstelle.
Der Sicherheitszaun und die Zukunft der Siedlungen bestimmen derzeit die öffentliche Debatte in Israel, auch im Hinblick auf die angekündigte Rede von US-Präsident George W. Bush zur Nahostpolitik. Vor zehn Tagen sendete das israelische Fernsehen zur Hauptsendezeit einen Report, in dem gezeigt wurde, mit welcher Systematik junge Siedlerfamilien weitere Außenposten auf Westbankhügeln errichten – derzeit 61, zusätzlich zu den insgesamt 144 Siedlungen im Westjordanland und Gaza-Streifen.
Im dokumentierten Fall führten Klagen bei einer Mobiltelefongesellschaft über schlechten Empfang in einer Gruppe von Siedlungen zur Errichtung einer Hügelantenne. Die Antenne erforderte einen Zaun, der Zaun einen Wächter, der Wächter einen Wohnwagen. Über Nacht waren weitere Wohnwagen vor Ort, die – da die Insassen religiös sind – die Errichtung einer Synagoge und eines rituellen Bads erforderten. Frauen und Kinder mussten von Soldaten geschützt werden, was der wilden Siedlung den Anstrich von Legitimität gab.
Einen Tag nach der Ausstrahlung des Berichts drangen palästinensische Attentäter in Karmei Zur, einer derartigen Wohnwagensiedlung, ein. Ein Siedlerpaar und ein Reservesoldat wurden erschossen. Da Karmei Zur ohne Genehmigung errichtet wurde, ist es von keinem Schutzzaun umgeben. Das veranlasste den Likud-Abgeordneten Michael Kleiner zu der Forderung, alle autonomen Palästinenserzonen einzuzäunen, statt die geplante Pufferzone entlang der grünen Linie zu errichten.
Das Militär fühlt sich durch den Schutz immer neuer wilder Siedlungen, zusätzlich zu Operationen in Palästinenserstädten, Dienst an Straßensperren und Grenzverteidigung, maßlos überfordert und erwägt deshalb bereits die Rekrutierung von Siedlern zur Bewachung ihrer Wohnorte in die Berufsarmee.
Der unmittelbar verantwortliche Verteidigungsminister Benjamin Ben-Elieser, der zugleich Chef der Arbeitspartei ist, steckt nun in einem politischen Dilemma. Sein Parteikollege Außenminister Schimon Peres wies am Freitag in einem Interview auf das Koalitionsabkommen hin, nach dem die Errichtung neuer Siedlungen einen Vertragsverstoß darstellt. Illegale Siedlungen müssten geräumt werden, forderte Peres – ohne indes zu drohen, andernfalls die Regierung zu verlassen.
Die für Mittwoch angesetzte Regierungsdebatte dürfte Licht auf die wirklichen Absichten von Ministerpräsident Scharon hinsichtlich der Möglichkeit von Verhandlungen mit den Palästinensern werfen. Die erklärte Absicht der Siedler ist es, mehr „jüdische Tatsachen“ im biblischen Eretz Israel zu schaffen. Sie verweisen auf die Legalität der meisten Außenposten, die bereits von Ministerpräsident Ehud Barak stillschweigend genehmigt worden seien. Darauf könnte sich auch Ben-Elieser berufen, wenn er sich nicht mit Scharon anlegen will.
Im Juli 2001 hatte der Verteidigungsminister 15 neue Außenposten – von seinerzeit 66 – räumen lassen. Fast alle wurden mittlerweile wieder eingenommen. Die übrigen wilden Siedler gehen davon aus, dass die Nichträumung ihre Legalität bestätigt.
„Die Armee wird nicht von Terrororganisationen, sondern von den listigen, tückischen Siedlern besiegt“, schrieb der Militärexperte der Tageszeitung Ha’aretz, Zeev Schiff, am Freitag. Dem Zermürbungskrieg um die Siedlungen fielen immer mehr Soldaten und Reservisten zum Opfer, während die Siedler in ihrem Egoismus die Diskussion um den Sicherheitszaun entlang der grünen Linie am Kochen hielten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen