: Lauschangriff aus London
Ein neues Gesetz soll Behörden und Organisationen in Großbritannien Zugang zu personenbezogenen Daten verschaffen
aus Dublin RALF SOTSCHECK
Ginge es nach der Regierung, dürften Großbritanniens Beamte künftig nach Herzenslust in der Privatsphäre ihrer Bürger herumschnüffeln. Heute debattiert das Londoner Parlament eine entsprechende Gesetzesvorlage. Das Gesetz soll es einer Vielzahl von Behörden und halbstaatlichen Organisationen ermöglichen, von Telefongesellschaften, Postdiensten und Internetbetreibern die Herausgabe von Daten zu verlangen, ohne zuvor einen lästigen Gerichtsbeschluss erwirken zu müssen.
Bisher dürfen das lediglich die Geheimdienste, die Polizei, der Zoll und die Steuerfahndung. Die Regierung will diese Macht nun auf sieben Ministerien, sämtliche Kommunalverwaltungen, die Gesundheitsämter in Schottland und Nordirland sowie elf weitere Behörden ausweiten, darunter die Atomenergiebehörde, das Amt für Nahrungsmittelkontrolle und die Postkommission.
Innenminister David Blunkett behauptet, das neue Gesetz diene einzig der Terrorismusbekämpfung. In der Gesetzesvorlage sind jedoch weitere Gründe benannt: Bei Fragen der nationalen Sicherheit und öffentlichen Gesundheit, der Steuereintreibung und der Verbrechensbekämpfung darf ebenfalls geschnüffelt werden. Darüber hinaus kann der Innenminister jeden beliebigen anderen Grund festlegen, etwa die Verhinderung illegaler Einwanderung.
Ein Sprecher von Premierministers Tony Blair sagte, in dem Gesetz seien eine Reihe von Schutzmechanismen vorgesehen. Welcher Art diese Schutzmechanismen sein sollen, geht aus der Gesetzesvorlage allerdings nicht hervor.
Die britische Regierung drängt darauf, dass auch die anderen Mitgliedsländer der Europäischen Union solche Gesetze verabschieden. Mit den erweiterten Vollmachten ließe sich etwa der Aufenthaltsort eines Handybesitzers auf wenige hundert Meter genau bestimmen. Internetfirmen sollen Passwörter, besuchte Internetseiten, Kreditkartennummern bei Transaktionen und alle E-Mails samt Sendedatum für fünf Jahre speichern. Die Sondereinheit der britischen Polizei, die sich auf die Bekämpfung von Internet-Kriminalität spezialisiert hat, argumentiert, dass man auf die Zunahme des „cyber crime“ mit größeren Vollmachten für den Staat reagieren müsse.
In Großbritannien soll das Gesetz im August in Kraft treten – vorausgesetzt, es wird heute abgesegnet. Das ist zwar wahrscheinlich, aber nicht sicher, denn auch viele Labour-Hinterbänkler sind über den Angriff auf die Privatsphäre besorgt.
David Winnick, Labour-Mitglied im Ausschuss für innere Angelegenheiten, sagte, die Pläne der Regierung hätten „beträchtliche Unruhe“ bei den Labour-Abgeordneten ausgelöst. „Die Bekämpfung des Terrorismus darf keine Entschuldigung für diese weitreichenden Maßnahmen sein.“
Bürgerrechtsorganisationen sind entsetzt über die Regierungspläne. Ian Brown, Direktor der Foundation for Information Policy Research, sagte: „Die immense Erweiterung der Regierungsschnüffelei erschreckt mich. Vor zwei Jahren haben wir moniert, dass der Polizei diese Rechte ohne gerichtliche Überprüfung gewährt wurden. Nun rüsten sie eine endlose Schlange von Bürokraten in den Ministerien und den Rathäusern mit eben dieser Macht aus.“
Das Innenministerium erklärte, dass sämtliche Behörden und Organisationen, die in der Gesetzesvorlage aufgelistet sind, irgendetwas mit Verbrechensbekämpfung zu tun haben. Wäre das Gesetz bereits Anfang der 80er-Jahre in Kraft gewesen, hätte man etwa den „Yorkshire Ripper“, den Frauenmörder Peter Sutcliffe, schneller fassen können.
John Wadham, Direktor der Bürgerrechtsorganisation Liberty, meint dagegen, dass die Polizei die notwendigen Informationen von der Telefongesellschaft aufgrund der damaligen Rechtslage einholen durfte, wenn sie Sutcliffe überhaupt verdächtigt hätte. „Warum der Fall des Yorkshire Rippers es rechtfertigen soll, dass Kommunalverwaltungen und Gesundheitsämter Telefon- und Internetdaten verlangen dürfen, ist mir schleierhaft“, sagte Wadham.
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