: Arbeitskampf mit härteren Bandagen
Jetzt schon 16.000 Bauarbeiter im Ausstand. Arbeitgeber schicken Streikbrecher aus Portugal auf Baustelle in Berlin
BERLIN taz ■ Der Arbeitskampf in der Baubranche ist am dritten Streiktag härter geworden. Auf der Großbaustelle am Potsdamer Platz in Berlin kam es gestern Morgen zu Streikbruchversuchen. Mit eingeflogenen Arbeitskräften sei versucht worden, auf der bestreikten Baustelle „unter Einsatz bezahlter Schlägertrupps“ portugiesische Bauleute einzusetzen, schimpfte ein Gewerkschaftssprecher. Dies sei ein unglaublicher Vorgang. Die rund 60 Arbeitswilligen wurden mit Pfeifkonzerten empfangen. Zu Auseinandersetzungen kam es aber nicht, teilte die Polizei mit.
„Die neuen portugiesischen Bauarbeiter wussten gar nicht, dass sie auf einer bestreikten Baustelle eingesetzt werden sollten“, sagte der IG-Bau-Landesgeschäftsführer Rainer Knerler gestern der taz. Die Streikenden, darunter auch Portugiesen, hätten den Ankömmlingen daraufhin portugiesischsprachige Flugblätter überreicht, auf denen die Situation erklärt wurde. „Danach wollten die Arbeiter gar nicht mehr auf die Baustelle, obwohl sie von ihrem Chef massiv unter Druck gesetzt wurden.“
Die IG Bau hat ihre Streiks unterdessen erneut ausgeweitet. Nachdem der Streik am Montag zunächst in Norddeutschland begonnen worden war, befinden sich nun Bauleute in elf Bundesländern im Ausstand. Insgesamt streiken nach Gewerkschaftsangaben rund 16.000 Bauarbeiter auf mehr als 1.000 Baustellen. Allein in Berlin wird ein Bauvolumen von zwei Milliarden Euro bestreikt.
Gewerkschaftschef Klaus Wiesehügel richtet sich mittlerweile auf eine längere Auseinandersetzung ein. Der Streik könne noch eine ganze Weile dauern, so Wiesehügel. „Der Druck muss sich wohl noch ein bisschen erhöhen.“ In der kommenden Woche will die Gewerkschaft den Streik auf das gesamte Bundesgebiet ausweiten. Davon werden voraussichtlich auch Autobahnbaustellen betroffen sein.
Wiesehügel forderte von den Unternehmern erneut, ein besseres Angebot vorzulegen. Die Baugewerkschaft verlangt 4,5 Prozent mehr Lohn für die rund 950.000 Beschäftigten der kriselnden Branche, die Unternehmer boten zuletzt 3 Prozent mehr Lohn. Darüber hinaus geht es um die Angleichung der Ost- an die Westmindestlöhne. Die Gewerkschaften wollen zudem einen Mindestlohn für Facharbeiter durchsetzen. Denn während die Arbeitsbedingungen in der Branche zumindest auf dem Papier allgemeinverbindlich geregelt sind, herrschen bei den Löhnen immense Unterschiede. Ein für alle Facharbeiter gesetzlich geltender und einklagbarer Mindestlohn könnte hier die Spirale nach unten stoppen.
Wann es zu einer Einigung in der Tarifauseinandersetzung kommt, ist noch nicht abzusehen. Streikleiter Dietmar Schäfers machte gestern zwar noch einmal Druck. Das Potenzial der streikbereiten Gewerkschaftsmitglieder sei noch lange nicht ausgeschöpft, so Schäfers. Dass die Gewerkschaft allerdings nicht an einem langen Streik interessiert ist, beteuerte gestern IG-Bau-Vorstandsmitglied Karl Heinz Stroble. Er hoffe, die Arbeitgeber noch in dieser Woche wieder an den Verhandlungstisch bewegen zu können.
RICHARD ROTHER
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