: Okkupation bis zum Frieden
Israel beschließt die dauerhafte Besetzung palästinensischer Gebiete bis zum Ende des Terrors. Erste Ausgangssperren und Verhaftungen
aus Jerusalem ANNE PONGER
Israels Armee will autonome Palästinensergebiete erneut besetzen, solange der Terror nicht aufhört. Das hat die israelische Regierung nach einer nächtlichen Sitzung gestern angekündigt. Es ist die Antwort auf den jüngsten schweren Selbstmordanschlag auf einen vollbesetzten Bus in Jerusalem, bei dem 19 Israelis und der palästinensische Attentäter starben.
Bereits in der Nacht zu Mittwoch rückte die Armee in Dschenin, Nablus und Kalkilja ein, verhängte Ausgangssperren und verhaftete zahlreiche Palästinenser. Der israelische Rundfunk berichtete aus Armeekreisen, geplant sei eine „rollende Aktion“, die weitere Städte und eventuell auch den Gaza-Streifen umfassen soll. Binnen 24 Stunden wurden auf israelischem Gebiet 1.200 Palästinenser verhaftet. Zwar waren die meisten von ihnen auf Arbeitssuche, doch befürchten die israelischen Behörden, dass sich Attentäter als Jobsuchende tarnen könnten.
Die von etlichen rechten Politikern geforderte Ausweisung von Palästinenserführer Arafat wurde zunächst aufgeschoben – die zu erwartenden internationalen Reaktionen scheinen derzeit nicht opportun. Vorerst ist die Rede von möglichen Ausweisungen Arafat nahe stehender Fatah-Funktionäre und von abschreckenden Repressalien gegenüber Familien von Selbstmordattentätern. Überdies dürften sich die gezielten Exekutionen mutmaßlicher Terroristen wieder häufen.
Der Busanschlag in Jerusalem vom Dienstag hat einmal mehr bewiesen, wie erfolglos groß angelegte Militäraktionen in den Palästinensergebieten sind. Die wochenlange „Operation Schutzwall“ hat nicht nur alle palästinensischen Sicherheitsdienste zerstört, sondern auch sämtliche zivilen Infrastrukturen. Das Leben in den Gebieten wird immer unzumutbarer. Die Mehrheit der Palästinenser – manche Umfragen sprechen von 80 Prozent – bekunden mittlerweile Verständnis für Selbstmordanschläge innerhalb Israels.
Der Sicherheitszaun entlang der Grünen Linie, mit dessen Errichtung am Sonntag begonnen wurde, mag für die immer kopf- und ratlosere israelische Bevölkerung einen psychologischen Schutzeffekt gegen Selbstmordattentäter haben. Für die Palästinenser bedeutet der Zaun indes einen weiteren Akt der Unterdrückung sowie die Sorge, auf lange Sicht jeglicher Existenzgrundlage beraubt zu werden: Sie befürchten, nicht mehr an ihre Arbeitsorte in Israel zu gelangen. Gestern Morgen ließen denn auch Palästinenser nahe dem Dorf Kfar Salem einen Sprengsatz detonieren und schossen auf israelische Grenzsoldaten, die die Bauarbeiten am Zaun überwachten. Die geplante Pufferzone soll Mauern, Schützengräben und elektronische Überwachungsanlagen umfassen und an mehreren Stellen bis zu zwei Kilometer weit in palästinensisches Territorium hineinreichen.
Die israelische Regierungsentscheidung von Mittwoch, „dauerhaft“ palästinensische Gebiete besetzen zu wollen, ist zweifellos von Erwartungen einer angekündigten und nach dem Attentat verschobenen Rede von US-Präsident George Bush beeinflusst, in der er seine zukünftige Nahostpolitik präsentieren will. (siehe unten) Ob Bush einen detaillierten Zeitplan vorlegen wird, ist noch nicht klar. Ägypten und Syrien haben einen Zeitplan bis zu einer endgültigen Lösung gefordert, der sich über drei bis vier Jahre erstreckt. Die Palästinenser bevorzugen eine Zweijahresfrist. Ariel Scharon widersetzt sich jeglichen Zeitplänen und macht diplomatischen Fortschritt von Terrorstopp und palästinensischen Reformen abhängig.
Der Beschluss zur Wiederbesetzung der Palästinensergebiete, die einseitige Entscheidung über den Bau eines Zauns entlang der Grünen Linie sowie die spürbare Sorge vor der Bush-Rede machen deutlich, dass Scharon vor politischen Lösungen, vor allem vor der Idee eines Palästinenserstaates, zurückschreckt. Seine gesamte Politik besteht aus offensiven und defensiven Maßnahmen. Der Plan zum Bau der Trennlinie enthält zum Beispiel keinerlei Hinweis auf Absichten zum Abbruch von Siedlungen. Die Genehmigung des Zauns, aus ideologischen Gründen lange aufgeschoben, war für Scharon schließlich eine populistische Alternative zu wirksamen diplomatischen Schritten.
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