: Jailhouse-Rap in Plötzensee
Rapper des Kreuzberger HipHop-Labels Ypsilon Recordz besuchen regelmäßig jugendliche Strafgefangene zum gemeinsamen Sprechgesang in der Knastkirche. Sie wollen zeigen, dass das harte Leben auf der Straße auch andere Möglichkeiten bietet
von FELIX LEE
Eigentlich ist Jochen Kühling mit den Rappern nachmittags um 15 Uhr verabredet. Bis alle ins Auto eingestiegen sind, ist es aber bereits Viertel vor vier. Dann wollen sich alle noch einen Döner. Die Autofahrt dauert noch einmal eine halbe Stunde. Aber sauer reagieren die Jungs in Plötzensee auf die Verspätung nicht. Sie haben mit dem Rappen längst begonnen. Und als Knastinsassen sind sie das Warten ohnehin gewohnt.
Zum zehnten oder elften Mal sind die Rapper des Kreuzberger HipHop Labels „Ypsilon Recordz“ in der Jugendstrafanstalt (JSA) in Plötzensee – so genau kann sich Diablow, der mit bürgerlichem Namen Nico Thormann heißt, nicht mehr erinnern. „Wir haben halt so viel um die Ohren“, sagt David Battle, die eine Hälfte von Battle Rapp. Aber er und sein Kumpel Alexander Rapp halten das Knastprojekt genauso für unterstützenswert wie Diablow, und deswegen sind sie heute auch wieder dabei.
Auf die Idee eines HipHop-Workshops für strafgefangene Jugendliche ist Jochen Kühling vor fast einem Jahr gestoßen. Der 36-Jährige ist seit zwei Jahren bei Ypsilon für den betriebswirtschaftlichen Part zuständig, also Label-Marketing und Künstler-Bezahlung – falls sich die CDs verkaufen.
Vor einem Jahr waren die HipHopper einer Sozialarbeiterin der JSA auf einem Straßenfest in der Kreuzberger Wrangelstraße aufgefallen. Sie fragte Kühling, ob die Musiker seines Labels Interesse hätten, in Plötzensee aufzutreten. Hatte er. Aber Jochen wollte mehr: „HipHop hat traditionell viel mit Gangstertum zu tun.“ Die Jungs in Plötzensee sollten selbst rappen.
In der Mitte des Probenraums steht ein Altar. Es riecht leicht muffig. Sie rappen in einer Kirche, präziser gesagt in der Knastkirche. Immerhin gibt es eine Bühne. Auf den kreisförmig angeordneten Stühlen liegen rund drei Dutzend Gesangbücher – mit Kirchenliedern. Die bleiben aber heute unberührt. Auf einer Balustrade stehen einige Interessierte und die Aufsichtsbeamten. Einer von ihnen wippt leicht zu den harten Beats, die aus dem Ghettoblaster dröhnen.
„Ich hänge rum. Mit meiner Gang. Bang. Wenn ich dir begegne, dann mache ich dich platt. Mit meiner Gang. Bang“, rappt der Jungknacki Jim. Sein Tonfall ist eintönig, aber laut und aggressiv. „Im Flow bleiben“, ruft Diablow ihm zu. Die beiden kennen sich noch aus seiner Schulzeit. Beide gingen auf die Hauptschule im Märkischen Viertel. Jim, inzwischen 19 Jahre alt, ein paar Jahrgänge unter Diablow. Ihr Outfit ähnelt sich. So wie sich die Klamotten aller hier Anwesenden ähneln: weite Baggy Pants, zu lange T-Shirts, Baseball-Mützen.
Jim sitzt noch nicht lange in Haft – wie die meisten hier – aber dafür schon zum zweiten Mal. Wegen guten Benehmens haben sie häufig Freigang. Über die Haftgründe darf nicht geredet werden. Das war eine Abmachung mit der Sozialarbeiterin. Trotzdem kennt Diablow die Gründe.
Die meisten Texte, die die Häftlinge geschrieben haben, sind authentisch. Sie handeln von zerbrochenen Freundschaften, Ärger mit der Familie und Problemen hinter Gittern. „Warum sitze ich hier. Als 19-Jähriger im Knast. Das Ganze bringt doch eh nichts, denn meine Wut bleibt krass. Hier im Knast“, rappt einer.
Diablow kann zwischen den Zeilen lesen. Echte Rapper und HipHopper stehen häufig selbst mit einem Bein im Knast. „Wir leben alle von der Hand in den Mund“, sagt er. Genau das mache einen Rapper aus. „Gute Rapper, die Texte übers Leben schreiben, sind die, die in der Pfennigwirtschaft leben.“
Jochen Kühling kennt die Migrantenkinder der zweiten Generation, die in der Gesellschaft durchs Netz gefallen sind, weil sie nirgends so richtig dazugehören. Ein paar Mal die Miete und die Leasingraten für technische Geräte nicht bezahlt, dann noch beim Schwarzfahren erwischt – schon sitzen sie in Plötzensee. In der Regel müssen die 15- bis 18-Jährigen nicht lange bleiben. Doch ist die Rückfallquote hoch, und ab 18 kommen sie in die Haftanstalt für Erwachsene. „Auch wenn wir keine gelernten Sozialarbeiter sind, wollen wir ihnen mit der Musik zeigen, dass das harte Leben auf der Straße auch andere Möglichkeiten bietet“, erklärt Kühling.
Diablow packt seine CD mit den Beats aus. Die Häftlinge setzen sich um ihn herum. Lässig, cool und routiniert wirken sie. Das war einmal anders. Anfangs seien sie sogar richtig schüchtern gewesen und hätten nur hinter den Pfeilern zu den harten Beats mitgewippt. „Hey, Jungs. Kommt aus euch heraus“, hat Diablow gebrüllt. Dann legte einer los – das Eis war gebrochen.
Diablow ist von sich und seinem Rap überzeugt. Und das merken die Jungs. Sie vertrauen ihm. Von den zwanzig Interessierten aus der JSA durften nur zehn am Workshop teilnehmen. „Die Auswahl hat die Sozialarbeiterin geregelt“, sagt Diablow. Einer durfte nicht teilnehmen, weil er mit Drogen erwischt wurde. Und auch unter den zehn Auserwählten ist es schon einmal zu Missverständnissen gekommen. „Im Knast ist man besonders sensibel“, weiß Diablow. Einer der zehn Jungs ist gläubig. Die anderen halten nicht viel vom Glauben und sangen „Fick dich in den Arsch“.
Missverständnisse können schnell gefährlich werden. Und der Stärkste ist hier der Größte. Doch heute bleibt alles friedlich. Aus dem Ghettoblaster kommt ein neuer Beat. Ein Junge mit russischem Akzent fängt an: „Ich mache einen Track. Was mich ausmacht. Charakter beschreiben. HipHop hinterfragen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen