: Mit Springer und Dackel ins Idyll
Die „Bild“-Zeitung der ersten Jahre war nahezu unpolitisch. Verantwortlich dafür war ihr erster Chefredakteur Rudolf Michael, der sein Handwerk noch im Kaiserreich gelernt hatte und vom nationalliberalen Politiker zum NS-Parteijournalisten wurde
von CHRISTIAN SONNTAG
Der Zeitungsleser anno 1952 – keiner kannte ihn und seine Bedürfnisse so gut wie Axel Springer, der junge Verleger aus Altona: Desillusioniert nach den jüngsten Ereignissen der deutschen Geschichte sei dieser, geplagt von den Stürmen der Zeit, gleichgültig gegenüber allem Ideellen. „Behandelt mir diesen Leser schonend“, lehrte Springer seine Redakteure. „Fangt nicht gleich an, ihn wieder erziehen zu wollen zu Idealen, die ihr selbst gar nicht habt.“
Springers Konzept vom „unpolitischen kleinen Mann“ war das Erfolgsrezept der Nachkriegszeit. Nur wenige setzten es so konsequent um wie Rudolf Michael, erster Chefredakteur der Bild-Zeitung, die am 24. Juni vor 50 Jahren erstmals erschien. Als frei von jeder Weltanschauung bezeichnete Michael sich selbst einmal, einzig und allein orientiert am Bedürfnis des Lesers und am menschlichen Umgang mit ihm. Politisch seien an ihm lediglich „gewisse Restbestände aus meiner liberalen Vergangenheit“.
Restbestände aus Michaels jüngerer Vergangenheit blitzten in seiner Zeit als Bild-Chef 1952–1958 seltener auf. Einmal schrieb er einen Kommentar mit reaktionär-nationalem Touch, worauf Springer ihn ermahnte, sich zurückzuhalten, die Deutschen hätten schon genug Elend in der Welt verursacht. Am liebsten machte Michael ohnehin rührende Tiergeschichten – Redaktionsdackel Rübezahl war seine Kreation. Eine „kritische Studie“ bescheinigte den ersten sechs Jahrgängen der Bild Jahre später, man könne das Blatt täglich lesen, ohne die wichtigsten politischen Ereignisse danach rekonstruieren zu können: kleine Vierbeiner statt großer Politik.
Rudolf Michael gibt Rätsel auf. Obwohl „Vater der Bild-Zeitung“, ist sein Name wenig bekannt, zu den Galionsfiguren des Springer-Verlags gehörte er nie. Michael war Hamburger Kaufmannssohn, Jahrgang 1890, der das journalistische Handwerk noch zu Kaisers Zeiten lernte. In den 20er Jahren Chefredakteur des liberal-konservativen Hamburgischen Correspondenten, saß er zugleich für die Deutsche Volkspartei in der Hamburger Bürgerschaft.
1929 folgte die unumkehrbare Entscheidung für den Journalismus: Michael wechselte zum traditionsreichen, weit über die Hamburger Grenzen hinaus bekannten Hamburger Fremdenblatt, dessen innenpolitisches Ressort er von nun an leitete.
Gleichschaltung
Die politischen Grundsätze der Zeitung klangen damals noch unerschütterlich: „Für nationalistische Draufgängerei ist ebenso wenig Raum wie für sozialistische Gleichmacherei.“ Als 1933 die Nationalsozialisten an die Macht gekommen waren, schaltete sich die bürgerliche Presse in Deutschland selbst gleich, das Fremdenblatt machte da keine Ausnahme. Kaum ein Journalist quittierte in der Folge den Dienst, obwohl die publizistische Tätigkeit jetzt im Rahmen der nationalsozialistischen Weltanschauung erfolgen musste. Auch Michael blieb auf seinem Posten und stellte eine Broschüre mit eigenen Schriften zusammen, die ihn, der kein Nazi war, als geistigen Wegbereiter des Nationalsozialismus bei den neuen Männern ins rechte Licht rücken sollte. Danach hatte er 1923 angeblich in einem Rednerkurs auf die Notwendigkeit hingewiesen, „dass dem deutschen Volk in den nächsten Jahren ein Führer entsteht. Mit Begeisterung werden wir ihm folgen, wenn er uns in die außenpolitischen Freiheiten führt.“ – Der Führer, den Michael damals gemeint hatte, war bestimmt nicht Adolf Hitler. Aber jetzt, da dieser Reichskanzler war, beugte sich Michael der neuen Macht. Drei Tage nach der Machtergreifung lobte er „den leidenschaftlichen Willen zur Verantwortung und zur Arbeit“, der aus den Reden des neuen starken Mannes spreche.
Später allerdings stellte er es als Akt des Widerstands dar, bis 1937 mit dem Beitritt zur NSDAP gewartet zu haben. Doch als innenpolitischer Leitartikler konnte er ohnehin nicht daran vorbei, politisch Stellung zu beziehen – und die durfte im totalitären NS-Staat nur eine Richtung haben. Nach der „Reichskristallnacht“ im November 1938 schrieb Michael im Fremdenblatt: „Das überreife Problem der Juden – Beweis genug, wie sehr die nationalsozialistische Regierung auch in dieser Frage sich zum Anwalt der Volksstimmung gemacht hat. Wie das Volk wirklich gedacht hat, das zeigen die Spuren der Zerstörung jüdischen Eigentums. So hat Goebbels dem Volk aus der Seele gesprochen.“
Michael rutschte immer tiefer in den nationalsozialistischen Schlamm, der seine liberale Herkunft zunehmend verdeckte. Im Sommer 1939 nahm er an einer offiziellen Asien- und Amerikareise deutscher Redakteure teil. Sein Reisebericht „Roman einer Weltreise“ wurde ein Bestseller, der antisemitische Klischees bediente. Das „Amt Rosenberg“, das Schriftsteller und ihre Werke auf deren Weltanschauung überprüfte, beurteilte das Buch „positiv“, für das Propagandaministerium war es „politisch von unvermindertem Wert“. 1944 ging dann sogar eine Sonderauflage für die Wehrmacht in Druck – zur geistigen Erbauung der Männer an der Front.
Berufsverbot
Bis Kriegsende war Michael für die einzig noch in Hamburg erscheinende Zeitung als Redakteur tätig und damit vom Kriegsdienst befreit; ein Privileg des Regimes, auf das er später lieber verzichtet hätte.
Gleich nachdem sich die britische Besatzungsmacht im Winter 1945/46 an den Neuaufbau einer demokratischen Presse machte, war Michael zur Stelle. Aber die Briten bekamen Wind von seiner NS-Vergangenheit und verweigerten ihm die Aufnahme in die Redaktion der britischen Zonenzeitung Die Welt.
Der zuständige deutsche Entnazifizierungsausschuss fällte ein vernichtendes Urteil über Michael: „Seine ganze publizistische Tätigkeit während des Krieges war eine einzige Durchhaltepolitik. Er hat sich derart belastet, dass er heute journalistisch untragbar ist.“ Während viele seiner früheren Kollegen vom Fremdenblatt längst wieder publizistisch tätig waren – nicht wenige übrigens bei der Welt –, erhielt Michael Berufsverbot.
Doch dann traf der enttäuschte, von der Politik abgewandte Michael den jungen Verleger Springer, der mit seinem Zeitungskonzept Auflage machen wollte – und keine Politik. Michael half Springer schon bei der Planung von dessen erster Tageszeitung, dem Hamburger Abendblatt, und wurde dort Redakteur – freilich inoffiziell, denn noch hatte er keinen Entlastungsschein. Als der 1949 endlich kam, hatte Michael längst die letzte Kehrtwende seines Journalistenlebens vollzogen: Aus dem leidenschaftlichen Politiker, dem überzeugten Nationalliberalen, dem engagierten NS-Journalisten/Mitläufer war jener unpolitische Mensch geworden, der aus Bild die erfolgreichste deutsche Boulevardzeitung machte.
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