Schill zum Antreten gezwungen

Bundesparteitag der Schill-Partei in Hamburg entscheidet, an den Bundestagswahlen teilzunehmen – gegen die Warnung des Chefs und jetzt neuen Spitzenkandidaten. Mitte Juli müssen Landeslisten stehen. Die Partei hat bislang zwei Landesverbände

aus Hamburg PETER AHRENS

Ronald Schill drehte sich blitzschnell um 180 Grad. Sein Herz sei immer schon für eine Beteiligung gewesen, das Ergebnis der Abstimmung sei „ein gutes Stück Basisdemokratie“. In der Tasche muss er dabei die Faust geballt haben, denn die Basis der Schill-Partei hatte ihrem Vorsitzenden soeben eine folgenschwere Niederlage beigebracht. Gegen den ausdrücklichen Willen ihres Chefs tritt die Schill-Partei nun doch zur Bundestagswahl am 22. September an.

Auf ihrem Bundesparteitag am Samstag in Hamburg entschieden sich 453 Schill-Mitglieder für eine Teilnahme, 386 stimmten dagegen. Schill hatte zuvor alles versucht, die Mitglieder auf einen Verzicht einzuschwören. „Wenn wir teilnehmen, wird das ein Desaster“, stellte er fest und ging noch weiter: „Das wäre der Tod der Partei.“ Sowohl finanziell als auch organisatorisch sei man überhaupt nicht auf einen Wahlkampf vorbereitet, „bei den Medien haben wir nur Feinde“ – und das Hauptproblem: „Wir haben überproportional viele Querulanten in der Partei, die uns das Leben schwer machen.“

Die Partei sei zurzeit noch „ein Anziehungspunkt für Glücksritter aller Art“, sagte Schill, „für Menschen, die mit sich selbst im Unreinen sind“. In der Hamburger Parteizentrale seien jetzt bereits von mehreren Mitgliedern Bewerbungen für das Amt des Bundesaußenministers eingegangen. Erst wenn „wir uns dieser Querulanten in einem Reinigungsprozess entledigen, diesem Krebsgeschwür in einer gesunden Partei“, dann könne man daran denken, bundesweit anzutreten.

Selbst mit solcher Kraftrhetorik schaffte er es nicht, die Mehrheit auf seine Seite zu ziehen. Vor allem die Mitglieder aus den westlichen Bundesländern außerhalb Hamburgs drängten in der anschließenden Debatte zur Teilnahme. „Wenn man kann und nicht will – dafür hat niemand Verständnis“, sagte ein Sprecher aus Schleswig-Holstein. Für den mittlerweile wegen seiner Unbotmäßigkeit gegenüber der Hamburger Parteizentrale abgesetzten nordrhein-westfälischen Landesbeauftragten der Partei, Dieter Mückenberger, war es „vorausschaubar, dass die Partei es nicht überleben wird, wenn wir jetzt verzichten“.

Ob sie nach der Entscheidung vom Samstag überleben wird, ist mindestens ebenso fraglich. Bis zum 18. Juli muss die Partei ihre Landeslisten beim Bundeswahlleiter vorlegen. Bisher existieren nur zwei Landesverbände: Hamburg und Sachsen-Anhalt. Schill hatte bisher auch ausgeschlossen, in Baden-Württemberg und Bayern, „wo die Welt noch in Ordnung ist“, anzutreten. Von daher sind in diesen Ländern überhaupt noch keine organisatorischen Vorbereitungen getroffen.

Gegenwind von seiner Basis hatte der Vorsitzende bereits am Anfang des Parteitages erhalten. Als er den FDP-Politiker Jürgen Möllemann wegen seiner Äußerungen zur Politik Israels heftig angriff und ihm „Verständnis für terroristischen Massenmord“, unterstellte, erntete er gerade von jüngeren Parteimitgliedern zahlreiche Buhs und Rufe wie „Möllemann hat Recht“.

Nichtsdestotrotz verkündete der Politrichter gestern schon einmal, er stehe als Spitzenkandidat seiner Partei zur Verfügung. Das hatte Schill zuvor immer kategorisch ausgeschlossen. Zudem ließ er es noch offen, ob er „nach der Wahl als Bundesminister an die Spree wechseln“ werde. Ermuntert wurde er gestern von dem ehemaligen thüringischen Landesbeauftragten der Partei, Martin Moderegger: „Das Beispiel Pim Fortuyn in den Niederlanden hat doch gezeigt, wie man innerhalb kürzester Zeit einen erfolgreichen Wahlkampf aufzieht.“

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