Nicht genau hingesehen

Verurteilt wegen fahrlässiger Körperverletzung: Ehepaar hat bettlägerige Mutter krankenhausreif geflegt

Von „stumpfsinnigen Angeklagten“ spricht die Staatsanwältin und davon, dass sie noch nie „einen solch abscheulichen Fall“ erlebt habe. Und das, obwohl sie den Fall des Killers Pinzner sowie weitere 20 Morde bearbeitet habe. Vor ihr sitzen keine Serienkiller auf der Anklagebank, sondern zwei RentnerInnen. Amtsrichterin Limbacher bringt die Anklagevertreterin denn auch auf den Boden zurück und verurteilt das Ehepaar wegen fährlässiger Körperverletzung und Unterlassung zu acht Monaten Haft auf Bewährung. „Sie haben nicht die richtigen Maßnahmen ergriffen“, begründet sie.

In dem Verfahren geht es – wie Samstag berichtet – um den Vorwurf, dass die beiden ihre bettlägerige Mutter, beziehungsweise Schwiegermutter, nicht ordentlich geflegt hätten. Das Paar hatte 1997 die Betreuung übernommen, damit die 85-Jährige nicht ins Heim musste. Als sie im Juli 1998 eine Druckstelle über dem Steiß hat, misst auch die Hausärztin dem keine größere Bedeutung bei und verschreibt Salben. Doch es entwickeln sich eitrige Geschwüre.

Weil die Hausärztin im Urlaub ist, sucht die Schwiegertochter vergebens einen Vertretungsarzt auf. Die alte Dame ins Krankenhaus einweisen zu lassen, kommt den Eheleuten nicht in den Sinn. „Wir wollten nicht über den Kopf von Frau Doktor handeln“, sagen sie. Dass häufiges Umbetten das Leid hätte lindern können, haben beide angeblich nicht gewusst. Erst nach ihrem Urlaub weist die Ärztin die alte Dame ein. Da ist sie voller tiefer Geschwüre, unterernährt, ausgetrocknet und im koma-ähnlichen Zustand.

Unwissenheit lässt Limbacher nicht gelten: „Sie konnten erkennen, dass was schief lief, und haben es auch erkannt, als sie einen Arzt suchten, haben aber dann wieder die Augen verschlossen“, so ihr Vorwurf. Auch wenn die Mutter nicht in die Klinik wollte: „Es gibt Momente, in denen man sich darüber hinwegsetzen muss.“ Kai von Appen