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Sie kam, Seleção und siegte

Dank eines genialen Momentes von Ronaldo gewinnt eine nüchtern kombinierende brasilianische Nationalmannschaft 1:0 gegen die Türkei und erreicht zum dritten Mal in Folge das WM-Endspiel

aus Saitama MARTIN HÄGELE

Wer im Halbfinale einer Fußball-WM gegen Brasilien spielt, sollte nicht erst warten, bis einen das Schicksal straft. Mit dieser Erkenntnis reist die Türkei, die am Montag als Weltmeister in Istanbul landen wollte, nun nach Daegu, um sich im kleinen Finale gegen Südkorea Bronze zu sichern. In Yokohama aber wird sich am Sonntag eine Szene wiederholen, die sich vor einem halben Jahr bei der WM-Auslosung abgespielt hat. Luis Felipe Scolari hat sein Treffen mit Rudi Völler in Pusan so geschildert: „Wir hatten damals beide die ganze Welt auf dem Hals, weil wir praktisch erst in letzter Minute die WM-Qualifikation geschafft hatten.“

Der Deutsche Teamchef und Scolari hätten einander in den Arm genommen und gescherzt: „Vielleicht sehen wir uns ja im Finale. So wird es sein – und wir werden uns wieder umarmen.“ Das Gefühl, die Türken könnten diese Verbrüderungsszene zwischen beiden verhindern und selbst die Deutschen richtig ärgern, ließ bereits nach zwanzig Minuten nach. Wenn Roberto Carlos sein rechtes Bein nicht nur dafür benutzen würde, um mit seinem Luxusschlitten Gas zu geben, hätte der deutsche Finalgegner schon zur Pause festgestanden. So großzügig kann wohl nur die Seleção mit ihren Chancen umgehen. Umgekehrt wurde es im brasilianischen Strafraum nur selten gefährlich, obwohl Kapitän Hakan Sükür besser spielte. Erst als nach einer Stunde Ilhan Mansiz eingewechselt wurde, häuften sich die kritischen Situationen.

Ein WM-Halbfinale ist eine Chance, die sich den Türken so schnell nicht mehr bieten wird. Auch wenn Trainer Günes für 2006 das Endspiel anstrebt. Diese Möglichkeit hätte sich auch im Saitama-Stadion auftun können. Allerdings hätten sich dann Spieler wie der Galatasaray-Kicker Sas konzentrierter zeigen müssen. Der fixe Dribbler war in der Lage, Verwirrung in der brasilianischen Defensive zu stiften. Allerdings trat er gegen Luzio, Edmilson und Roque Junior im Stil eines halbstarken Jungstars vom Dorfplatz auf.

Der überwiegende Teil der Männer vom Bosporus kam erstaunlich gut mit der nach den Vorfällen um Rivaldo aus dem Gruppenspielen aufgeladenen Atmosphäre zurecht. Bis auf Sas’ Amokgrätsche in der 88. Minute registrierte man zwar ein paar verbale Scharmützel, aber keine der erwarteten Gehässigkeiten. Der türkische Fußball hat sich bei diesem Turnier etabliert. Er ist zu einem Markenzeichen in Europa geworden. In ihren Köpfen aber bleibt jener Augenblick zurück, der den großen Traum verhinderte. Es war kein Tor, wie es sonst in den Filmen von Ronaldo gezeigt wird, wo „Il Phenomeno“ durch die Luft fliegt oder ganze Reihen von Abwehrspielern stehen lässt. Er war im Duell mit den türkischen Verteidigern, er konnte sich nicht entscheidend absetzen. Aber anstatt einen Haken zu schlagen, schlug er plötzlich mit der Stiefelspitze zu, so wie es die kleinen Jungs auf dem Dorfplatz tun – aber auch die Genies dieses Spiels, wenn es der Augenblick erfordert.

Für das Tor, mit dem Ronaldo nun auch die Führung in der Torschützenliste des Turniers übernommen hat, wird es keinen Schönheitspreis geben. Und dennoch war es einer der wertvollsten Treffer in der Karriere des wiedergekehrten Superstars. „Endlich kann ich wieder lachen“, erklärte Scolari. Zum ersten Mal in der WM-Historie kommt es im Endspiel zum Kräftemessen zwischen Deutschland und Brasilien. Das ist auch für Scolari ein erregender Moment. Wenn es nach den Türken geht, die diese Erfahrung bereits hinter sich haben, wird dieser Höhepunkt von einseitiger Natur bleiben. „Das Finale wird für die Brasilianer leicht werden“, erklärte Günes, und die in Deutschland aufgewachsenen Bastürk und Ilhan pflichteten artig bei: „Brasilien ist der klare Favorit.“ Offensichtlich hatten die Ballkünstler vom Zuckerhut doch mehr Eindruck gemacht als das Kampfspiel der Bundesligakicker, das die Türken vorm Fernseher erlebt hatten.

Brasilien: Marcos - Lucio, Roque Junior, Edmilson - Cafu, Gilberto Silva, Kleberson (85. Belletti), Edilson (75. Denilson), Roberto Carlos - Rivaldo, Ronaldo (68. Luizao) Türkei: Rüstü - Fatih Akyel, Bülent Korkmaz, Alpay, Ergün - Ümit Davala (74. Izzet), Tugay, Bastürk (88. Erdem), Emre Belözoglu (62. Mansiz), Sas - SükürSchiedsrichter: Nielsen (Dänemark)Zusch.: 61.058, Tor: 1:0 Ronaldo (49.)

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