: Hamburger Lebensabende
Ermittlungen noch nicht abgeschlossen: Ähnlich wie im Fall des SS-Manns Friedrich Engel verzögert sich der deutsche Prozess gegen den Unterscharführer Gerhard Sommer
Nicht nur der ehemalige SS-Obersturmbannführer Friedrich Engel genießt, 58 Jahre nach den Massakern, ungestört von der deutschen Justiz, seinen Lebensabend in Hamburg. Auch der frühere SS-Unterscharführer Gerhard Sommer erfreut sich nach den Mordtaten eines ruhigen Rentnerdaseins in der Hansestadt. Noch, denn am Sonntag berichten die Reporter des ARD-Magazins „Kontraste“ René Althammer und Udo Gümpel über die Beteiligung Sommers an dem größten Massaker den deutsche Einheiten an der italienischen Zivilbevölkerung, in Sant‘ Anna di Stazzema, verübt haben.
Als die Reporter 2001 über die Verurteilung Engels, wegen der Ermordung von 246 Zivilisten, vor dem Turiner Militärgericht berichteten und ihn in Hamburg-Lokstedt ausfindig machten, beschleunigte die Staatsanwaltschaft ihre seit 1998 laufenden Ermittlungen. „Wir merken, dass der Druck wächst“ erklärte damals Oberstaatsanwalt Martin Köhnke. Vielleicht beschleunigt jetzt die neue Dokumentation die Vorermittlungen der Zentralen Stelle für nationalsozialistische Gewaltverbrechen in Ludwigsburg.
Denn die Fakten zu Sommer, auf welche die Reporter schon im April 2002 hinwiesen, sind erdrückend. Vom Mai bis Dezember 1944 war Sommer als Offizier der 16. SS-Panzer-Grenadierdivision „Reichsführer SS“ im besetzten Italien im Einsatz gegen Partisanen. In dieser Zeit ermordete die Division 2000 Zivilisten. Am 12. August 1944 marschierte die vierte Kompanie der SS-Einheit, angeführt von Sommer, in das toskanische Dorf Sant‘ Anna. Sie suchten Partisanen, fanden aber alte Leute, Frauen und Kinder.
Binnen vier Stunden hat die Einheit 560 Menschen erschlagen, erschossen oder verbrannt. Gegenüber den Reportern berichtet ein früherer SS-Unterscharführer: „Da hat‘s geheißen – umlegen den ganzen Verein. Det ist wie bei der Jagd, bei der Treibjagt. Da wurden die Menschen zusammengetrieben, vor die Dorfkirche und dann wurde geschossen.“ In der Kirche riss die SS die Bänke heraus, warf sie auf die Opfer und setzte mit Flammenwerfern alles in Brand. In Italien erhebt die Militärstaatsanwaltschaft La Spezia in den nächsten Wochen Anklage gegen den ranghöchsten Verdächtigen Sommer. Ob sich der der 80-jährige Rentner aus Hamburg-Sasel in der Hansestadt vor Gericht verantworten muss, ist indes offen. „Die Vorermittlungen in Ludwigsburg sind noch nicht abgeschlossen“, erklärt der Sprecher der Staatsanwaltschaft Rüdiger Bagger. Der stellvertretende Leiter der Zentralstelle Joachim Riedel hofft, dass sie „in zwei Monaten“ beendet sind. Die Hamburger Staatsanwaltschaft würde dann die weiteren Ermittlungen vornehmen, erklärt Riedel, die müssen aber nicht zu einem Prozess führen. Allerdings, so Riedel, habe Herr Sommer „ja schon im Fernsehen zugegeben, vor Ort gewesen zu sein“.
Die schleppenden Ermittlungen haben, laut Riedel, die italienischen Behörden zu verantworten. Von mangelndem deutschen Ermittlungsinteresse spricht er nicht. ANDREAS SPEIT
Die Dokumentation, wird am 30. Juni, um 22:05 vom SFB1 ausgestrahlt.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen