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Der subjektive Blick durchs Objektiv

„Fremde Blicke“ heißt eine Ausstellung des Behandlungszentrums für Folteropfer im Rathaus Schöneberg. Sie zeigt die Bilder von sieben Männern und Frauen, die anderthalb Jahre lang ihr Leben im Exil fotografiert haben. Als Therapie

Die Stäbe sind überall. Und immer sind sie weiß. Die Gitter, hinter denen ein Meerschweinchen im Käfig hervorlugt. Die Torgitter, die eine Zufahrt verschließen. Die Stäbe, die den Blick durch das Fenster auf einen grünen Baum im Innenhof in Vierecke zerteilen. Und die Glastür in undurchsichtige Quadrate. Neben diese Fotos hat Alexander C. Aufnahmen von Wanduhren und Weckern gestellt. Und acht Sätze geschrieben. Handschriftlich auf Rumänisch, in Druckschrift auf Deutsch: „Wo ist die Freiheit? Zwischen den Gitterstäben oder auf der anderen Seite der Gitter? Wo ist die verlorene Zeit? Zwischen den Gitterstäben. Das sind die Bilder eines Asylbewerbers, der sich seit dem 2. September 1990 in Deutschland befindet.“

Alexander C. fällt es schwer, noch mehr zu seinen Fotos zu sagen. In Rumänien war der Mann mit der leisen Stimme und den silber-schwarzen Haaren jahrelang wegen seiner Oppositionsaktivitäten gegen das Ceaușescu-Regime inhaftiert. Was er dort erlebt hat, hat ihn Mitte der 90er-Jahre zum Behandlungszentrum für Folteropfer gebracht. Seine Fotos im Lichthof des Schöneberger Rathauses erwecken den Eindruck, dass auch das Leben in Deutschland ohne die Anerkennung des Asylantrags die Hölle sein muss.

Eineinhalb Jahre haben Alexander C. und sechs weitere Frauen und Männer unterschiedlichster Herkunft ihren Alltag in Deutschland dokumentiert. Alle zwei Wochen trafen sie sich zum Reden über die Bilder in der Therapiegruppe von Carolin Tschieche-Zimmermann im Behandlungszentrum. Weil in der Gruppe sechs verschiedene Sprache gesprochen werden, sind auch Dolmetscher dabei.

Wichtig für alle sei der Schritt nach außen gewesen, sagt die Kunsttherapeutin. „Sie wurden mit der Kamera von ihrer Umwelt ganz anders wahrgenommen.“ Und erlebten sich in einer anderen Rolle als der des Opfers von Folterungen, Misshandlungen und deutschen Ausländergesetzen.

Die Unterschiedlichkeit der Erfahrungen sichtbar zu machen, sei ebenfalls Ziel des Projekts gewesen, sagt Tschieche-Zimmernann. Bei Sükran K., die seit sieben Jahren in Deutschland lebt, taucht das Exilland in den Fotos nicht auf. Stattdessen zeigt sie kurdische Frauen und Mädchen, die Farben Rot-Gelb-Grün beherrschen die Bilder der 22-Jährigen.

Dagegen hat die Kosovo-Albanerin Kadrije B. Menschen und Orte in Berlin dokumentiert. Abbruchhäuser, Polizisten bei einer Kontrolle und Jugendcliquen in Schwarzweiß mischen sich mit bunten Friedhofsfotografien und Porträts von Straßenkünstlern. Porträts einer Großstadt, fotografiert von einer jungen Frau. Neben ihre Fotos schreibt sie: „Dass ich keine Worte finde, macht mich verrückt.“

HEIKE KLEFFNER

Ausstellung bis 31. Juli, täglich von 9 bis 20 Uhr im Rathaus Schöneberg, John-F.-Kennedy-Platz

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