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Für ein paar Millionen mehr

Bilanzbetrügereien in den USA haben zu einer tiefen Vertrauenskrise geführt. Die Bosse fälschen nicht nur aus Eigennutz

aus New York NICOLA LIEBERT

Der Exchef des US-Mischkonzerns Tyco muss vielleicht ins Gefängnis, weil er eine Million Dollar an Steuern hinterzogen hat. Eine schlappe Million – dabei verdiente der Mann allein im letzten Jahr 62 Millionen Dollar und 107 Millionen im Jahr davor. Bernard Ebbers, der Worldcom zum zweitgrößten Ferngesprächsanbieter der USA aufgebaut hatte, wurde nicht zuletzt deswegen zurückgetreten, weil er sich durch Kredite seiner Firma bereichert haben soll. John Riga, Gründer der inzwischen Pleite gegangenen Kabelfirma Adelphia, und seine Sippschaft haben sich 3,1 Milliarden Dollar aus der Firmenkasse „geliehen“.

Warum setzen diese Männer, allesamt vielfache Einkommensmillionäre, ihren Ruf, ihre Firmen samt Angestellten und Aktionären und vielleicht sogar das Wohlergehen der ganzen US-Wirtschaft aufs Spiel? Inzwischen droht Worldcom, das seine Bilanzen um mindestens 3,8 Milliarden Dollar aufgeblasen hat, nach neueren Vermutungen sogar um 4,8 Milliarden, dem Skandalunternehmen Enron den Rang abzulaufen. Fast täglich geraten neue Unternehmen in den Verdacht, ihre Bilanzen gefälscht zu haben, so zum Beispiel Vivendi, General Motors und Merck. Von den bekannten Fällen wie dem Energiehändler Enron, Kopiererhersteller Xerox oder Telekomfirma Global Crossing ganz zu schweigen. „In Amerika ist eben auch nicht alles Gold, was glänzt“, bemerkte Rolf Breuer, der Exchef der Deutschen Bank, jüngst fast mit Erleichterung.

Die Methoden sind vielfältig. Mal wurden Schulden in den Bilanzen von Nebenfirmen versteckt wie bei Enron, mal wurden bloße Betriebsausgaben zu Investitionen hochstilisiert wie bei Worldcom, mal wurden künftige Erträge als sofortige Gewinne verbucht wie bei Xerox, und mal wurden Nullsummen-Deals mit Konkurrenzfirmen getätigt, die aber trotzdem als Einnahmen gezählt wurden, wie bei Global Crossing. Der Effekt ist immer der Gleiche: Umsätze und Gewinne sehen besser aus, als sie sind, der Aktienkurs steigt und damit auch der Wert der Aktienoptionen, die einen Großteil der Bezahlung von US-amerikanischen Firmenchefs ausmachen. Wenn der Schmu auffliegt, sind die Optionen schon eingelöst.

Die Misere nahm ihren Ausgang in den Achtzigerjahren. Damals mischten die so genannten Corporate Raiders die US-Unternehmenswelt auf. Ihr Motto „Gier ist gut“ drückte Michael Douglas als Gordon Gekko, der Investmenthai im Film „Wall Street“, aus. Sie starteten Übernahmeschlachten, verkauften, was Wert hatte, und zerschlugen den Rest. Die meisten Unternehmen begannen, sich vor solchen feindlichen Übernahmen zu schützen, indem sie ihre eigenen Aktienkurse in unerreichbare Höhen zu treiben versuchten.

Das Konzept des Shareholder-Value, das besagt, dass eine Firma in erster Linie im Interesse ihrer Eigner, also der Aktionäre betrieben werden soll, setzte sich in der Folge durch. Die Bezahlung der Firmenchefs wurde erfolgsabhängig gemacht, und der Erfolg wurde im Interesse der Anteilseigner als steigender Aktienkurs definiert. Aktienoptionen erfüllten den Zweck bestens. Die Einnahmen von US-Unternehmenschefs, die 1980 rund 45-mal so viel wie normale Angestellte verdienten, wucherten dank dieser Reformen bis zum Jahr 2000 auf das 458fache eines Angestelltengehalts, rechnete die Zeitschrift Business Week aus.

Schuld an der Misere sind aber nicht nur die Chefs der Unternehmen, schuld sind auch die Anleger. Zwar sind sie oftmals zugleich auch Opfer, wenn die Aktienkurse plötzlich ins Bodenlose fallen. Aber sie sind es, die mit dafür gesorgt haben, dass die Firmenmanager nichts mehr außer den kurzfristigen Gewinnen im Auge hatten. Kennziffern wie der freie Cashflow, die Anlagenrendite oder gar Patente oder Mitarbeiterschulung, die den tieferen Shareholder-Value ausdrücken, sind eben schwerer zu eruieren als eine simple, quartalsweise veröffentliche Gewinnzahl.

Plausibel ist es nicht, dass die Wirtschaft jahrein, jahraus um zehn Prozent wachsen kann. Trotzdem wurde von den Unternehmen erwartet, dass sie alljährlich Gewinnsteigerungen in dieser Größenordnung erwirtschaften. Mindestens. Regierungsstatistiken zufolge haben die Gewinne der US-Unternehmen zwischen 1997 und 2000 nach Steuern praktisch stagniert. Aber ausweislich der Zahlen, die die 500 im S&P-500-Aktienindex vertretenen Unternehmen vorlegten – Zahlen, die sämtliche Sonderposten weglassen – sind die Gewinne in diesen drei Jahren um 46 Prozent gewachsen. Wie soll das möglich sein?

Wenn der Umsatz sich mangels rasanter Nachfragezuwächse nicht schnell genug steigern ließ, halfen Firmenmanager gerne durch einen Trick nach: Sie kauften andere Unternehmen auf, zum Teil Hunderte im Jahr wie bei Tyco oder bei General Electric. Die Umsätze des größeren Unternehmens sind natürlich auch größer als vorher, die Aktienkurse steigen, und die teuren Aktien dienen als Währung für weitere Firmenkäufe.

Brechen aber auf einmal die Kurse ein, etwa als die Internet-Blase platzte, ist das Spiel zu Ende. Um jetzt immer noch sagenhafte Umsatz- und Gewinnsteigerungen melden zu können, sahen viele Firmenchefs keine Alternative, als die Bilanzen aufzubessern, allein schon weil sie die für die Firmenkäufe gemachten Schulden abbezahlen müssen. Die meisten Skandale nahmen in dieser Phase ihren Anfang.

Die bisherigen Kontrollmechanismen – Aufsichtsräte, Buchprüfer, Analysten – haben allesamt versagt. Aufsichtsräte sind kaum als unabhängig zu bezeichnen, weil in den USA sehr häufig der Vorstandschef zugleich auch Aufsichtsratschef ist. Buchprüfer sind nicht unabhängig, weil sie einen Gutteil ihres Geldes durch die Beratung der Firmen verdienen, die sie zu prüfen hatten. Und Analysten sind nicht unabhängig, weil sie ihren Investmentbanken Geschäfte mit Unternehmen zu verschaffen hatten, indem sie diese gut besprachen. An diesen drei Hebeln versuchen nun Kongress und Börsenaufsicht anzusetzen.

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