piwik no script img

Mondscheinfahrt mit Floß

Romantik mit Bier und Grillwurst: Auf Baumstämmen über die Seen und Kanäle in der Uckermark zu fahren, ist heute keine schweißtreibende Angelegenheit mehr, sondern vor allem ein Naturerlebnis

von TOM NIEMANN

Wie gut hatten es doch Tom Sawyer und Huckleberry Finn: Wenn der Schriftsteller Mark Twain seine jugendlichen Protagonisten lautlos auf dem Floß über das Wasser schickte und sie den unbequemen Alltag mit Tante Polly vergessen ließ, kam Neid auf im Kinderzimmer. Marcus Thum vom Fuhrunternehmen Treibholz verkauft Idyllen wie diese seit rund vier Jahren und schippert in den Sommermonaten bis Oktober mit dem Floß über die Seen rings um die 3.500-Seelen-Stadt Lychen, rund 70 Kilometer nördlich von Berlin. Bis zu 30 Personen befördert der Flößer auf seinen 20 Meter langen Kiefernstämmen durch die scheinbar unberührte Natur.

Die letzte Eiszeit formte das Gesicht der heutigen Uckermark: kristallklare Seen, idyllische Bäche und geheimnisvolle Moore, eingebettet in sanfte Moränenkuppen mit ausgedehnten Wäldern, Wiesen und Feldern. Auf dem ersten Abschnitt schnurrt noch ein kleiner Elektromotor, der das beladene Holz gemächlich über den Zennsee schiebt. Während Thum über die reichhaltige Tier- und Pflanzenwelt der Region Auskunft gibt, passiert das „Treibholz“ die urtümlichen Landstriche mit ihren rund 1.200 verschiedenen Pflanzenarten. Mit etwas Glück kriegen wir noch den einen oder anderen fleißigen Biber, fischende Kraniche oder sogar einen brütenden Fischadler zu Gesicht.

Nachdem das Floß die freie Fahrt über den Zennsee hinter sich hat, greift Thum zum ursprünglichen, meterlangen, armdicken Antriebswerkzeug des Flößers. Schweiß perlt über sein Gesicht, während er das Gefährt mit seiner Fracht durch die schmale Wasserstraße in Richtung Oberpfuhlsee stakt. Mit Freiheit und Abenteuer im Sinne von Mark Twain hat das nun nicht mehr viel zu tun, trotz traditionellem Flößerbier an „Bord“.

Das Floßfahren hat in der Uckermark eine uralte Tradition. So möchte Thum mit seinen Touren denn auch weniger an die Mississippi-Romantik anknüpfen als vielmehr an das Erbe seiner eigenen Region. Früher hatte das Flößen mit einer lustigen Vergnügungsfahrt absolut nichts gemeinsam – das Floß war ein kräftezehrendes Transportmittel für den brandenburgischen Exportschlager Holz. Wie auch Thum beim Staken der schwimmenden Ausflugsplattform ganz schön ins Schwitzen kommt, so hatten die Flößer bis in die 60er-Jahre einen harten Job zu erledigen. Das aus den umliegenden Wäldern geschlagene Holz musste schließlich irgendwie zuerst nach Lychen und schließlich über Flüsse, Seen, Fließe und Kanäle zum Kunden irgendwo in Deutschland gebracht werden.

Holz wurde im Winter in den Kiefernwäldern geschlagen und zu den Sammelstellen gebracht. Noch heute erinnern Namen wie „Postdammablage“ oder „Schlenkenablage“ an solche Punkte. Hier klammerten die Männer bis zu zwölf Baumstämme zu so genannten Tafeln zusammen, die im Uckermärkischen nur „Pläätze“ heißen. Zwei bis drei Tafeln übereinander ergaben ein fertiges Paket. Bis zu 200 Meter lang war ein solcher Verband aus „Pläätzen“. Zum Transport wurden diese gigantischen Holzlieferungen an Dampfschlepper angehängt und bis nach Berlin oder gar Hamburg gezogen. Stromschnellen, Strudel und enge Kurven machten die tagelangen Transporte immer wieder zu einem kniffeligen Unterfangen.

Bis in die 60er-Jahre war die Flößerei Haupteinnahmequelle für die Bevölkerung von Lychen und Umgebung. Mit dem Einzug von Bahn und Lastwagen legten die Lychener Flößermänner Staken und Kantring aus der Hand. In Erinnerung an die vergangenen Zeiten gründeten die „alten Flößern“ 1995 die Interessengemeinschaft der Lychener Flößer. Seit 1997 feiern die harten Jungs jedes Jahr am ersten Wochenende im August ihr traditionelles Flößerfest.

Welche der abenteuerlichen Geschichten, die Flößer reichlich auf Lager haben, sich am Ende an die Fakten halten, und wobei es sich nur um Seemannsgarn handelt, erfährt man bei einem Besuch des Lychener Flößermuseums, das dem Unternehmen Treibholz standesgemäß als Büro dient.

Wirklich historisch geht es bei den Floßfahrten über den Finowkanal zu. Auf der immerhin ältesten noch schiffbaren Wasserstraße Deutschlands schippert ein Floß mit Motorantrieb seine Gäste durch die Region. Bei den Ausflügen mit Flößerbier und Wurst vom Grill ist die uralte Geschichte um den künstlichen Wasserweg ein gern referiertes Thema. Das erste Mal schon vor 400 Jahren eröffnet, verfiel der Kanal im 30-jährigen Krieg. 1746 wieder repariert, verlor er 1914 seine Bedeutung. Die großen Transportschiffe waren ab diesem Jahr auf der weiter nördlich gelegenen Oder-Havel-Wasserstraße mit dem Schiffshebewerk in Niederfinow unterwegs.

Seit 1995 wollen die Anrainergemeinden auch den Tourismus auf den Finowkanal locken. Die beschaulichen Floßfahrten führen entweder durch das alte Industrieviertel von Eberswalde oder durch die unberührte Wildnis in Richtung Zerpenschleuse. Seit Jahrzehnten wurden der Kanal und seine Umgebung der Natur überlassen, so dass sich Urwald und unberührte Natur breit machen konnten.

Inzwischen lohnt sich die Tour zu den über 100 Jahre alten Schleusen aber nicht nur auf dem Wasser. Rechts und links vom Kanal werden die Reste des alten Treidelweges, von dem aus die Lastkähne einst per Muskel- oder Pferdekraft gezogen worden waren, schrittweise für Radfahrer und Wanderer ausgebaut.

Bei all den Eindrücken und Geschichten rund um die schweißtreibenden Arbeiten, mit denen die Männer der Region seinerzeit ihre Brötchen verdienten, wird ein spezielles Angebot der Floßunternehmer in der Uckermark immer wieder gern gebucht. Mondscheinfahrten mit Picknick und Lagerfeuer – das kommt der Mark-Twain-Romantik wohl doch noch am nächsten.

Auskünfte zu Floßfahrten auf dem Finowkanal gibt es unter Telefon (0 33 35) 32 53 70 oder (01 72) 3 83 20 74

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen