: Glücklich in der Kältezone
Was macht den Sommer cool? Teil 1: Rudi Schweigers Kühlanlage im Leichenkeller der Berliner Charité hält die Temperatur konstant bei drei Grad. Der 36-Jährige sagt: „Ich wollt’ hier immer hin“
aus Berlin KIRSTEN KÜPPERS
Da, wo für Rudi Schweiger die Arbeit losgeht, da gibt es keinen Sommer, da gibt es nicht mal Tag und Nacht. Nur grün geflieste Wände, Neonröhren, eine Lüftung, die brummt. Und natürlich die sieben Kühlschränke. Die Kühlschränke sind in diesem Kellerraum das Wichtigste. In ihnen ist immer drei Grad über Null. An jedem Tag im Jahr, zu jeder Saison. Hach Gott, na und, sagt Rudi Schweiger. Was ist schon groß dabei, so einen Julimorgen knapp überm Gefrierpunkt zu erleben?
Rudi Schweiger ist nun wirklich keiner, der sich zimperlich anstellt, was die Umstände an seinem Arbeitsplatz angeht. Die Temperaturen sind wohl noch das am wenigsten Verstörende an seinem Beruf. Rudi Schweiger ist medizinischer Sektions- und Präparationsassistent in der Berliner Charité, dem größten Krankenhaus der Stadt. Der 36-Jährige ist damit der Herr über die sieben Kühlschränke im Keller, da, wo die Toten aufbewahrt werden. Rudi Schweiger ist auch derjenige, der bei einer angeordneten Obduktion die Leichen seziert, also aufschneidet, Organe entnimmt, Knochen zersägt, Gewebeproben erstellt, die Innereien dem Arzt zur Untersuchung vorlegt, später wieder einbaut in die Leiche, den toten Körper zunäht und wäscht. Früher hat Rudi Schweiger als Maler und Lackierer gearbeitet, da hat er mehr vom Sommer gehabt, meint er.
Tür auf, Tür zu
21 Leichen passen in die Kühlanlage. Schranktür auf, Schranktür zu. In blauem Hemd, blauer Hose und schwarzen Gummischuhen steht Rudi Schweiger dem Tod gegenüber, kontrolliert, wen er als nächstes zerlegen muss, sagt: „Es gibt nur zwei Wege, das Krankenhaus zu verlassen: Entweder Du gesundest, oder Du kommst zu mir.“
Nun wird einer ja nicht in so einen Beruf geboren. Eigentlich ist Rudi Schweiger ein Mann der Bayrischen Berge und Seen, kommt aus dem Wallfahrtsort Altötting, spricht nach fast 20 Jahren Berlin immer noch Akzent. So einer gehört doch raus auf sonnige Wiesen, denkt man, raus aufs Land. Nicht in einen Keller gesperrt, in eine Kältezone, in die irgendwo hinten in einem Schrank geräumt wird, was vom Menschen an Rest übrig bleibt.
„Nee, warum? Ich wollt’ hier immer hin“, Rudi Schweiger drückt den Oberkörper raus. Die Mutter war schon Krankenschwester, da hat er dieses Interesse her. Geekelt hat es ihn nie, vor den Leichen nicht, vor den Eingeweiden nicht, auch nicht vor dem Geruch. Er sagt: „Ist ja alles nur menschlich.“
Die tote alte Frau hat blaue Flecken an den Armen, ansonsten ist die Haut gelb. Rudi Schweiger schiebt die Leiche zurück in die Kühlung. „In Amerika, da gibt es in den Krankenhäusern eine Abteilung, die schminkt die Gestorbenen.“ Er erzählt das so wie einen schlechten Witz, so wie man eben sagt, dass etwas aus Amerika kommt, wenn es einem besonders verrückt und durchgeknallt scheint. Früher hätte es so was nicht gegeben, diese Abscheu vor dem Tod, meint Schweiger. Da hätten fünf Generationen unter einem Dach gelebt, „da ist immer einer gestorben, wo man hingucken musste“. Erst mit der Industriegesellschaft sei Vereinzelung gekommen, die Gesellschaft, die sich den Anblick des Todes erspare.
Die Jahreszeit ist egal
Rudi Schweiger läuft weg von den Kühlschränken, nach oben in den ersten Stock, die Schultern schaukeln beim Gehen. Man denkt, jetzt läuft er dem Sommer entgegen, der Sonne, dem Licht. Aber Schweiger scheint das nicht zu bemerken, setzt sich einfach in sein aufgeräumtes Büro. „Es gibt halt Wochen, da verstirbt wenig“, sagt er, „von den Jahreszeiten hängt das nicht ab.“ Dann erklärt er noch, wie man das macht, wenn man einen Schädel aufsägen muss.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen