: Fördern und Fordern ist der Schlager
Deutscher Landkreistag will zusammengelegte Arbeitslosen- und Sozialhilfe vergeben – und damit geizen
BERLIN taz ■ Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe werden zusammengelegt. Dies steht in fast allen Wahlprogrammen – und diverse Regierungskommissionen arbeiten daran. Wichtigste Frage war bisher: Wird die Arbeitslosenhilfe auf das Niveau der Sozialhilfe abgesenkt?
Gestern nun tauchte eine zweite Frage auf, gestellt von einem weiteren Akteur, dem deutschen Landkreistag: Wer wird zuständig für das neue Mischprodukt? Die Kommunen, die bisher die Sozialhilfe gezahlt haben? Oder der Bund und die Arbeitsämter, die für Arbeitslosenhilfe und -geld zuständig sind? Das klingt nach grauer Bürokratie. Doch der Deutsche Landkreistag vertritt 323 Landkreise, in dem zwei Drittel der Bevölkerung leben. Jenseits des Wahlkampfgetümmels wird so deutlich, was zumindest abseits der großen Städte Konsens ist.
Und Konsens ist dort „Fordern und Fördern“ für erwerbsfähige Sozialhilfeempfänger und Langzeitarbeitslose. Für sie möchten die Landkreise künftig zuständig sein, ihnen Angebote unterbreiten – ihnen aber auch die Leistungen kürzen, falls sie „zumutbare“ Jobs nicht annehmen.
Der Vorstandsvorsitzende der Bundesanstalt für Arbeit, Florian Gerster, zeigte sich gestern skeptisch: Er will daran festhalten, dass auch Arbeitsunwillige Sozialhilfe erhalten. Vor allem aber ist Gerster kein Fan von neuen Zumutbarkeitskriterien. Aus Erfahrung: Schon jetzt würde von Arbeitslosen verlangt, dass sie 2,5 Stunden täglich zum Arbeitsplatz zu fahren. Theoretisch. Faktisch machten „interne Statistiken“ deutlich, dass diese Bestimmung nur „verschwindend selten“ gilt. Denn die Klagen dagegen seien „zu 90 Prozent“ erfolgreich. Die Richter würden sich „immer auf die Seite des Betroffenen“ schlagen.
Daher favorisiert Gerster „schematische Lösungen“, die „bestimmte Leistungsniveaus befristen“. Erneut warb er dafür, das Arbeitslosengeld nur für zwölf Monate zu zahlen. Danach soll es die Arbeitslosenhilfe, jetzt unbegrenzt, für höchstens zwei Jahre geben. Aber wahrscheinlich wird es sogar nur ein Jahr werden. Gerster erwartet, dass die Hartz-Kommission das Modell „zwei Mal zwölf Monate“ empfiehlt – „notfalls durch Mehrheitsentscheid“.
Arbeitsamtschef Florian Gerster war gestern „nicht in offizieller Mission“ unterwegs, wie er betonte, denn der Deutsche Landkreistag hatte ihn eingeladen, als er noch Arbeits- und Sozialminister in Rheinland-Pfalz war. Und so nutzte er seine „Freiheit der Politikberatung“, um die „interessanten Vorschläge“ zu würdigen. Sie hätten immerhin den „Charme, dass sie nicht finanzpolitisch motiviert sind“.
Das sehen die großen Städte ganz anders, wo die Mehrheit der Langzeitarbeitslosen wohnt. Dort befürchten die Bürgermeister, dass die Landkreise die Langzeitarbeitslosen nur betreuen wollen, weil sie vergleichsweise wenig davon haben – um so bei geringem Vermittlungsaufwand relativ üppige Verwaltungseinnahmen einzufahren. Der Deutsche Städtetag ist jedenfalls strikt dagegen und nannte die Vorschläge „wenig hilfreich“.
ULRIKE HERRMANN
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