piwik no script img

Keine Drogentests ohne Verdacht

Karlsruhe schützt Kiffer vor willkürlichen Drogentests der Führerscheinbehörden. Gelegentlicher Haschkonsum ist noch kein Indiz für fehlende Fahreignung. „Gefahren sind früher zum Teil überschätzt worden“, meint das Bundesverfassungsgericht

aus Freiburg CHRISTIAN RATH

Grenzkontrolle bei der Einreise aus den Niederlanden. Beim Freiburger S. werden fünf Gramm Haschisch gefunden. Das Strafverfahren ist schnell eingestellt, da S. zum ersten Mal mit Drogen erwischt wird.

Glück gehabt? Nein, denn nun meldet sich die Führerscheinbehörde und fordert von S. regelmäßige Urintests. Als der Freiburger dieses Drogenscreening verweigert, wird ihm kurzerhand der Führerschein entzogen, denn er versuche offensichtlich, seinen Drogenkonsum zu verbergen. Das war 1994.

Acht Jahre später entschied nun das Bundesverfassungsgericht: Der Führerschein hätte im Fall von S. nicht entzogen werden dürfen, weil schon die Aufforderung zu einem Drogenscreening unzulässig war. Bei einmaligem oder gelegentlichem Konsum von Hasch bestehe noch „kein Verdacht“, dass jemand generell nicht geeignet sei, Auto zu fahren. Wenn der Staat hier zu kostspieligen und aufwändigen Drogentests auffordere, sei dies ein nicht gerechtfertigter Eingriff in die Freiheitsrechte der Bürger.

Pädagogisch geschickt hat das Verfassungsgericht gestern gleich noch eine zweite – erfolglose – Verfassungsbeschwerde veröffentlicht, um zu zeigen, wie ein konkreter Verdacht aussehen kann. Bei diesem zweiten Fall, er spielte im oberbayerischen Weilheim, fand die Polizei im Aschenbecher des Autos die Reste eines Joints. Hier war also offensichtlich beim Fahren oder kurz davor gekifft worden.

In solchen Fällen darf der Staat weitere Untersuchungen anordnen, um herauszufinden, ob eine Person zum bekifften Autofahren neigt oder sogar so regelmäßig Haschisch konsumiert, dass die Fahreignung dauerhaft beeinträchtigt ist. Neben dem Joint im Aschenbecher kann nach Karlsruher Ansicht auch herumliegendes „Zigarettenpapier in Übergröße“ oder „süßlicher Duft im Fahrzeuginnern“ einen solchen Verdacht auslösen.

Das Fahren unter Hascheinfluss ist zwar auch künftig nicht zulässig, da bekiffte Autofahrer sich schlecht konzentrieren können und oft seltsame Wahrnehmungen haben. Dies gilt für den „akuten“ Rausch sowie für eine „mehrstündige Abklingphase“. Der Cannabiskonsum sei aber auch nicht so gefährlich, meint Karlsruhe, dass die Führerscheinbehörden bereits bei bloßem Drogenbesitz oder gelegentlichem Konsum intervenieren müssten. „Die Gefahren sind in früheren Jahren zum Teil überschätzt worden“, betonte das Gericht.

Um sich wissenschaftlich abzusichern, haben die Richter im Vorfeld der Entscheidung zwei Gutachten vergeben. Dabei kam der Kölner Rechtsmediziner Günther Berghaus zu dem Schluss, dass Alkohol im Straßenverkehr die „weitaus gefährlichste Substanz“ ist. Und auch der Würzburger Verkehrswissenschaftler Hans-Peter Krüger bezeichnete Alkohol als „dominantes Problem“ im Straßenverkehr.

Daraus schlossen die Richter, dass die bisherige Behandlung der Kiffer „in keinem angemessenen Verhältnis zum Ausmaß der Gefährdung“ des Straßenverkehrs stand. Auf die bisherige Ungleichbehandlung von Alkohol und Cannabis kam es in der Entscheidung deshalb gar nicht mehr an. Der Kläger hatte es als ungerecht angesehen, dass der bloße Besitz von Bier oder Wein nicht zum Anlass für Drogensreenings und Zweifel an der Fahreignung genommen wird. Selbst der regelmäßige Genuss von Bier werde staatlich akzeptiert, solange man nicht betrunken Auto fahre, hatte S. argumentiert.

Verantwortlich für die liberale Karlsruher Entscheidung ist eine aus drei Richtern bestehende Kammer, der unter anderem der neue Gerichtspräsident Hans-Jürgen Papier (CDU-Mitglied) angehört. Die Karlsruher Richter bezogen sich bei ihrer Entscheidung auch auf ein bisher wenig bekanntes Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom Juli 2001. Schon dort hieß es, dass einmaliges oder gelegentliches Kiffen ohne Bezug zum Straßenverkehr noch keinen Verdacht auf mangelnde Fahreignung begründe. Az.: 1 BvR 2062/96 / 1 BvR 2428/95

meinung SEITE 11

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen