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Die neue internationale Solidarität

Die Globalisierung muss nicht nur den Reichen nutzen. Das glauben zumindest die Ökonomen Robert Reich, Noreena Hertz und Joseph Stiglitz. In ihren Büchern machen sie der Politik fundierte Reformvorschläge. Es lohnte, sie bald aufzugreifen

Der Protest der Masse wird der Weg sein, um politische Ziele durchzusetzen

von WARNFRIED DETTLING

Die Gestaltung des Wandels ist möglich – und nötig. Die Chancen dafür stehen vielleicht sogar besser als früher. Das ist die gemeinsame Botschaft von vier sehr unterschiedlichen Büchern, die sich mit der Zeit nach dem Ende der alten Weltordnung beschäftigen – der Zeit nach der Industriegesellschaft, nach der Entzauberung des Sozialismus und des Kapitalismus. In allen Büchern finden sich Spuren des Aufbruchs. Ob es freilich der Politik auf den verschiedenen Ebenen gelingt, jene Antworten von der Familien- bis hin zur internationalen Währungspolitik zu finden, die notwendig wären, bleibt eine offene Frage. Die vorliegenden Bücher bereiten jedenfalls den Boden für diese Aufgabe. Sie halten an dem geradezu altmodischen Glauben fest, dass Ideen Politik auch zum Guten verändern können.

Robert Reichs Bücher überzeugen durch die Art und Weise, wie sie die großen Veränderungen in der globalen Ökonomie mit jenen Dramen in Verbindung bringen, die auf der ganz persönlichen Ebene ablaufen. Der frühere Arbeitsminister von Präsident Bill Clinton und Professor für Wirtschafts- und Sozialwissenschaft an der Brandeis University beherrscht die Datenberge, achtet aber sorgfältig darauf, dass sie nicht die elementaren Fragen erschlagen: Wann ist eine Gesellschaft eigentlich erfolgreich? Was macht den Wert des Lebens und die Qualität der Gesellschaft aus? Worauf beruhen letztlich die Stärke der Wirtschaft und die Sicherheit der Gesellschaft? („Our common strength lies not in our bombs, but in our bonds.“) Ausgehend von der Beschleunigung in der Wirtschaft analysiert Reich eine ökonomische Entwicklung, die erfolgreich ist für die Menschen in ihrer Rolle als Anleger und Verbraucher. Aber die Menschen leben eben auch in sozialen Beziehungen, mit Kindern, Familien und Freunden. Zwischen diesen beiden Aspekten des Lebens, so Reichs These, zwischen Wirtschaft und Gesellschaft, zwischen Leben und Arbeiten sei die Balance gestört: „The Future of Success“ beschreibt in diesem Sinne die neue Arbeit, das neue Leben und die Folgen für den Einzelnen wie für die Gesellschaft.

Reichs politische Empfehlungen kann man kurz und bündig in einem politischen Manifest nachlesen, das er anlässlich seiner Kandidatur als Gouverneur für Massachusetts vorgelegt hat. Es ist ein kleines Buch über große Fragen geworden. „Essentials for a Decent Working Society“ verspricht der Untertitel, und das meint in etwa: Grundzüge für eine „anständige“, aber auch funktionierende Arbeitsgesellschaft. Reich wundert sich, warum die US-Amerikaner auf die neuen Herausforderungen ganz anders reagieren als früher auf die große Depression, auf heiße oder kalte Kriege. Damals habe es geheißen: We are all in it together. Mehr Solidarität, wechselseitige Verpflichtung und Verantwortung waren die Folge. Was ist also heute zu tun? Der Autor schlägt einen mittleren Weg vor, die Risiken zu teilen und den „Kreis des Wohlstandes“ auszuweiten. Seine Vorschläge laufen auf einen Mindestlohn bzw. auf eine Grundsicherung, eine bessere Betreuung und Zuwendung für Kinder und Alte und auf mehr Investitionen in Bildung und Ausbildung hinaus.

Während Reich darüber nachdenkt, wie die Politik auf den globalen Kapitalismus reagieren müsste, um die Übermacht der Wirtschaft zu verhindern und Benachteiligungen auszugleichen, schreibt Joseph Stiglitz fulminant über die Reaktionen der Staaten und ihrer Institutionen auf die weltweitenTransformationen nach 1989. Der Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften war in den 90er-Jahren Vorsitzender des Sachverständigenrates von Präsident Clinton und Chefvolkswirt der Weltbank. Er argumentiert nicht aus der Distanz, sondern als Betroffener und Beteiligter. So wie Reich nicht den Kapitalismus attackiert, wohl aber den heutigen Kapitalismus in den USA, argumentiert Stiglitz nicht pauschal gegen die Globalisierung, beschreibt aber deren Schattenseiten: Er attackiert vor allem das Regime von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank – das mit seinem „Mantra der freien Marktwirtschaft“ die Probleme im Osten und im Süden der Hemisphäre oft nur verschlimmert habe. Es ist traurig zu sehen, wie falsche Theorien, die sich selbst gegen jede Widerlegung immunisiert hatten (es waren eben alles „Übergangsprobleme“), Not und Armut in vielen Ländern vermehrt haben. Es ist aber auch traurig zu sehen, wie Europa in jener Zeit ideenpolitisch versagt und den Ökonomen aus den USA das Feld überlassen hat. Dabei hätten sie es, mit der Theorie und der Tradition der sozialen Marktwirtschaft im Rücken, besser wissen können: dass es nicht (nur) auf Deregulierung, sondern vor allem auf den Aufbau des richtigen regulatorischen Rahmens (altmodisch: Ordnungsrahmen) ankommt; dass es naiv ist zu glauben, der Staat könne jedes Marktversagen beheben, aber genau so töricht, davon auszugehen, Märkte könnten von sich aus jedes soziale Problem lösen. Überzeugungen wie diese lagen auch, Stiglitz erinnert daran, 1944 in Bretton Woods der Gründung der Weltbank und des IWF zu Grunde. In den 80er-Jahren kam dann die Wende: IWF und Weltbank wurden zu „missionarischen Institutionen“. Während man vorher gefragt habe, „weshalb in den Entwicklungsländern der Markt versagte und was Staaten tun könnten, um die Effizienz von Märkten zu verbessern“, sah man hinterher „das Problem im Staat und interessierte sich kaum für die Armutsbekämpfung. Offene Märkte waren die Lösung für die Probleme der Entwicklungsländer.“

So jedoch verdunkelte man die Schattenseiten der Globalisierung noch mehr, glaubt Stiglitz und schlägt erste Schritte zu einer Reform vor: eine stärkere Transparenz und eine gewisse Demokratisierung, verbunden mit einer Ausweitung der Folgenabschätzung (die nicht nur auf Geldmenge und Wachstum, sondern auch auf Armut, Arbeitslosigkeit und sozialen Ausgleich achtet) sowie eine Art „kompetitiver Pluralismus“. Ein Land sollte also die Möglichkeit haben, aus mehreren Vorschlägen des IWF einen, den jeweils zuträglichen auszuwählen.

Kritik am globalen Kapitalismus übt auch Noreena Hertz, Ökonomin an der Cambridge University, Unternehmensberaterin und engagiert in sozialen Bewegungen. Ihr Buch sollte man trotz des dümmlichen deutschen Titels „Wir lassen uns nicht kaufen!“ nicht gleich in die gängigen Klischees einordnen. Denn es geht ihr um das brisante Problem des „Silent Takeover“, so der englische Titel: Im globalen Kapitalismus habe eine schleichende Übernahme der Politik durch die Wirtschaft stattgefunden, die den „Tod der Demokratie“ zur Folge habe. Die großen Unternehmen legten die Spielregeln fest, seien aber, als „missionarische Unternehmer“, in vielen Ländern etwa Afrikas, wo der Staat längst verschwunden sei, zur einzigen nicht nur wirtschaftlichen, sondern auch sozialen Hoffnung geworden. Doch, so fragt sie, „wer überwacht die Wächter“, wenn sich Unternehmer die originären Zuständigkeiten des Staates anmaßen?

Das Vertrauen in Staat und Wirtschaft hat Noreena Hertz verloren. Doch sie hat auch ein neues Subjekt der Veränderung entdeckt: „Der Protest der breiten Masse wird schon bald der einzige Weg sein, um politische Ziele durchzusetzen und die Auswüchse der Aktivität von Unternehmen einzudämmen.“ Der Protest also als Katalysator der Reform, weil er die Bedingungen verändert, unter denen die neuen Eliten operieren und die Kosten für Entscheidungen in die Höhe treibt. So widersprüchlich das Buch in vielerlei Hinsicht auch ist, es gibt der Debatte neue Perspektiven, führt sie heraus aus manchen Schützengräben. Es reicht nicht mehr, für oder gegen den Kapitalismus oder die Globalisierung zu sein. Das ist die durchgängige Erkenntnis aller vier Bücher. Damit aber fangen die spannenden Fragen erst an. Schade, dass man im deutschen Wahlkampf so wenig von ihnen hört.

Robert Reich: „The Future of Success. Wie wir morgen arbeiten werden“, 415 Seiten, Piper, München 2002, 23,90 €ĽRobert Reich: „I‘ll Be Short. Essentials for a Decent Working Society“, 122 S., Beacon Press, Boston 2002, $ 20Joseph Stiglitz: „Die Schatten der Globalisierung“, 304 Seiten, Siedler Verlag, Berlin 2002, 19,90 €ĽNoreena Hertz: „Wir lassen uns nicht kaufen!“, 304 Seiten, Econ Verlag, München 2001, 20 €

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