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Der clevere Klassenclown

Beandali belehrt das Gericht: Das arabische Wort für „Waffe“ könne auch „Ochse“ bedeuten

aus Frankfurt/Main HEIDE PLATEN

Die Zuckertüte hat er immer dabei. Sie liegt vor Aeurobi Beandali auf der Anklagebank im Sicherheitssaal II, Gebäude E, des Frankfurter Oberlandesgerichts. Der 26-Jährige kaut vergnügt, pustet Kaugummiblasen, verteilt Süßigkeiten an seine Mitangeklagten. Nur auf den ersten Blick wirkt der Mann, der im Terroristenprozess den Klassenclown gibt, rundlich und gemütlich. Wenn er steht, ist er kompakt, mehr Muskeln als Fett. Und wenn er Zeugen zuhört, die ihn belasten, verschwindet das Lächeln. Beandali ist die schillernde Figur im Prozess gegen insgesamt fünf Angeklagte, denen vorgeworfen wird, Mitglieder eines algerischen Terrornetzes der Mudschaheddin zu sein und Ende 2000 von Frankfurt aus ein Bombenattentat auf den Straßburger Weihnachtsmarkt geplant zu haben.

Aeurobi Beandali kam im heißen Tiaret auf den Hochebenen am Rand des algerischen Tellatlas auf die Welt. Tiaret (auch Tehert geschrieben), mit dem Beinamen „Die Löwin“, ist eine Provinzhauptstadt 250 Kilometer südwestlich von Algier, ein Handels- und Universitätszentrum mit alter Tradition. Vom siebten bis zum zehnten Jahrhundert war das ehemals römische Tingartia Metropole eines islamischen Königreiches. Beandali stammt ebenso aus diesem Ort wie sein Mitangeklagter Samir K. Auch einige der Zeugen waren dort zu Hause. Man kennt sich.

Tiaret gilt als Hochburg des fundamental-islamischen Widerstandes gegen die algerische Regierung. Die Arbeitslosigkeit ist, wie überall im Land, hoch, die Fundamentalisten sind daher erfolgreich beim Rekrutieren vor allem junger Männer. Morde der verfeindeten Gruppen an politischen Gegnern und der Bevölkerung gehören zum Alltag.

1992, in Algerien hatte sich der Bürgerkrieg gerade verschärft, ist Beandali als 16-Jähriger in die Bundesrepublik gekommen. Er sei, gab er damals an, Mitglied der „Islamischen Heilsfront“ (FIS), die von der Einheitspartei der Regierung, der FLN, verfolgt werde. Sein Asylantrag wurde abgelehnt. Seither lebte er illegal in Frankfurt und akklimatisierte sich im kleinkriminellen Milieu. Treffpunkte junger Algerier in Frankfurt sind meist polizeibekannt. Sie begegnen sich in der Innenstadt an einem Ende der Zeil rund um die Telefonzellen an der Konstablerwache, einem der zentralen Umschlagplätze für Drogen, hocken am anderen Ende der Einkaufsstraße zu Füßen der großen, bronzenen Figur des Goliath. Hier werden Beziehungen geknüpft oder erneuert, Nachrichten aus der Heimat ausgetauscht, Geschäfte getätigt, das Überleben organisiert.

Seit fast zehn Jahren, sagt ein Prozessbeobachter außerhalb der Verhandlung, sei ihm bekannt, dass Islamisten in der „Nordafrika-Szene“ in Frankfurt junge Männer anwarben. Der Beobachter war damals selbst Gast in zwei Lokalen, in denen sich „eine ganze Clique“ traf. Bei den Wirten, sagt er, fielen sie in Ungnade. Zwar hätten sie Zeche gemacht, auch Alkohol getrunken, das Bier aber nicht gut vertragen: „Wer mag schon Gäste, die nach zwei Glas betrunken sind?“ Auch dass sie das aus der Heimat gewohnte Haschisch vorzogen, machte sie nicht beliebter. Die jungen Männer hätten nichts dabei gefunden, ihre Droge am Biertisch zu konsumieren. Das sei alles jedoch noch toleriert worden. Irgendwann, „Anfang, Mitte der 90er-Jahre“, aber habe es dann einem Umschwung gegeben: „Auf einmal wurden die alle fromm, ließen sich reihenweise Bärte wachsen, rannten ständig in die Moscheen und schimpften auf Deutschland.“ Wirtshäuser waren nicht mehr angesagt: „Die verschwanden.“ Einige seien, habe man später gehört, zur militärischen Ausbildung nach Afghanistan gereist. Man habe schon damals angenommen, dass sie von „Fundamentalisten der FIS für den Kampf im eigenen Land rekrutiert“ worden seien. Sicher ist, dass auch Beandali 1998 zur militärischen Ausbildung in Afghanistan war. Das erzählt er selbst. Dass er und seine Mitangeklagten im Dienste des Netzwerkes der al-Qaida Sprengstoff und Waffen horteten und den Straßburger Anschlag planten, glaubt vier Monate nach Prozessbeginn auch die Bundesanwaltschaft nicht mehr.

Prozessbeobachter vermuten, dass die zusammengewürfelte Frankfurter Gruppe auf eigene Faust arbeitete, aber der algerischen Extremistenorganisation GIA nahe steht. Deren Kontaktnetz ist ebenfalls international geknüpft, Berührungspunkte mit anderen terroristischen Gruppierungen nicht ausgeschlossen. Es bestehen nach Ansicht der Bundesanwaltschaft, die sich auch auf Geheimdienstinformationen stützt, Verbindungen nach London und Mailand. Zwei der Mitangeklagten waren erst Anfang Dezember 2000 aus London kommend eingereist.

Der Hauptangeklagte, Lamine Maroni (31), hatte sich zu Beginn des Prozesses im April als Gotteskrieger mit psychopathischen Zügen profiliert, Gericht und Pflichtverteidiger als Teufel, die Mitangeklagten als Verräter beschimpft, sich die westliche Kleidung mit einer Rasierklinge zerschnitten. Er wurde vom weiteren Verfahren vorerst ausgeschlossen. Seither hat Beandali im Gerichtssaal das Sagen. Er stilisiert sich als Sprecher der Mitangeklagten, allerdings nicht als einer, der aus politischer oder religiöser Überzeugung Morde plante. Er stiftet Verwirrung. Und das, scheint es, ist für ihn ein großer Spaß. Beandali nutzt Widersprüche im Ermittlungsverfahren des Bundeskriminalamtes geschickt aus. So schilderte er dem Gericht vergnügt, immer mit einem Lachen, wie er das Bundeskriminalamt im Dezember 2000 an der Nase herumgeführt habe. Es sei ihm gelungen, während einer Hausdurchsuchung eine Tasche mit aus Diebstählen stammenden Waffen verschwinden zu lassen. Seine Geschichte bleibt unbestätigt, wird aber auch nicht dementiert. Sicher ist, dass er und vier weitere Algerier nach Hinweisen des Verfassungsschutzes auf eine „Gruppe islamischer Fundamentalisten“ observiert worden waren. Sein offenbar doch noch aufgeflogener Waffentransport war das Alarmzeichen, das zur Verhaftung führte.

Beandali hat den Plan zum Anschlag in Straßburg zu Prozessbeginn als Einziger gestanden. Allerdings sei es nicht gegen den französischen Weihnachtsmarkt und die zum Jahreswechsel 2001 angesagten großen Millenniumsfeiern in Straßburg gegangen. Tatsächlich habe man eine Bombe in der jüdischen Synagoge der Stadt fernzünden wollen. Der Auftrag dafür sei aus London gekommen. Menschen hätten dabei nicht zu Schaden kommen sollen. Man habe lediglich die politischen Beziehungen zwischen Frankreich und Israel stören wollen. Gleichzeitig distanzierte er sich von dem Anschlag auf das New Yorker World Trade Center am 11. September 2001. Für seine Version spricht, dass die Vorbereitungen zum Attentat beim Zugriff der Polizei am 26. Dezember 2000 noch nicht sonderlich weit gediehen waren. Elektronische Bauteile, Kabel, Chemikalien waren reichlich vorhanden, jedoch nicht für einen Einsatz schon zum Jahreswechsel vorbereitet: Wichtige Bestandteile fehlten.

Aeurobi Beandali kaut vergnügt, pustet Kaugummiblasen und verteilt Süßigkeiten

Gegen Beandalis Version sprechen andere Indizien, die die Bundesanwaltschaft auflistete. Warum, fragte Bundesanwalt Volker Brinkmann maliziös, habe wohl der Mitangeklagte Salim B. (30) zum Jahreswechsel Zimmer im grenznahen Baden-Baden angemietet und den Weihnachtsmarkt, die Innenstadt und das weltberühmte Straßburger Münster auf Videos gefilmt, wenn das eigentliche Ziel die Synagoge gewesen sei? Der Ton zum Film ist martialisch: „Das ist die Kathedrale der Feinde Gottes.“ Beandali übernimmt die Erklärung. Sein Mitangeklagter B. habe sich eben in der Fremde schlecht ausgekannt und die Gotteshäuser verwechselt. Auch das findet der stämmige Mann mit dem Kindergesicht, der Knopfnase, dem fast immer vergnügt verzogenen Mund zum Totlachen.

Dealen in Frankfurt, auch mit weichen Drogen, ist ein hartes Geschäft. Dass Beandali sein Geld mit dem Cannabis-Handel verdiente, hat er nie bestritten. Beamte des Bundeskriminalamtes hatten bei einer ersten, verdeckten Durchsuchung seiner Wohnung in einem Hochhaus im Frankfurter Ostend neben zwei Taschen mit Waffen auch acht folienverpackte Platten Haschisch gefunden. Bei der zweiten, offenen Durchsuchung am 26. Dezember 2000 waren diese verschwunden. Er gestand schnell, dass er die Ware kurz vor seiner Verhaftung noch verkauft habe.

Beandali profiliert sich als Spaßmacher mit Durchblick, mischt sich ein, spielt den Übersetzer, weist das Gericht darauf hin, dass das arabische Wort für „Waffe“ in algerischen Dialekten auch „Ochse“ bedeuten könne. Dann wären also bei den Hausdurchsuchungen in Frankfurt etliche Rindviecher beschlagnahmt worden. Beandali findet auch das sehr lustig. Immer wieder redet sich der Spaßvogel klein. Dass sein Mobiltelefon abgehört und beschlagnahmt wurde und dabei durch gespeicherte Telefonnummern die Verbindung zu höherkarätigen Verdächtigen gezogen werden konnte, ficht ihn nicht an. Er habe es schon kurz nach dem Kauf bei einem Besuch beim Hauptangeklagten Maroni „vergessen“. Wann denn genau, fragt Bundesanwalt Volker Brinkmann nach. Beandali legt sich nicht fest: „Mein Kopf ist doch kein Computer und hat auch kein Uhrwerk.“ Schwieriger dürfte es für ihn werden zu erklären, wie die Telefomnummer des 2001 in London verhafteten Abu Doha in eines seiner Notizbücher geriet. Doha gilt als europäischer Verbindungsmann zu al-Qaida.

Vorerst lächelt Aeurobi Beandali auch das weg. Das sei, hatte er zu Prozessbeginn gesagt, nun einmal seine Mentalität, „auch bei Sachverhalten, die dafür nicht geeignet sind“.

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