: Ein Schwatz an der Sonne
von BETTINA GAUS
Guido Westerwelle freut sich. Über alles, auf alles, an allem und immerzu. „Das macht mir richtig viel Spaß und Freude“, sagt er über seine Wahlkampftournee in dem Campingbus, mit dem er derzeit werbend durch Deutschland reist. „Darauf freue ich mich wirklich“, betont er angesichts der bevorstehenden Übernachtung auf einem Zeltplatz. „Das ist eine wirkliche Freude“, beteuert er, dieses Mal ein wenig ergriffen: Gerade hat ihm eine Parteifreundin einen Kunstband mit persönlicher Widmung des Künstlers geschenkt. Der Vorsitzende der FDP zeigt sich sogar begeistert, dass eine Gruppe junger Leute gegen ihn demonstriert: „Ich freue mich sehr, dass auch ein paar Gegner da sind. Das zeigt, die nehmen uns ernst, und das ist das Beste, was sie tun können.“
Kann man so etwas lernen? Oder muss man dafür geboren sein? Es gibt eine angestrengte Fröhlichkeit. Die verbreitet Westerwelle nicht. Er strahlt vielmehr eine Fröhlichkeit aus, die anstrengend ist – so anstrengend, dass man als Beobachterin nach einem halben Tag die Wonnen der Melancholie entdeckt. In der ersten Stunde wirkt der Charme allerdings durchaus einnehmend. Länger bekommen die meisten Leute den Politiker nicht zu Gesicht.
Auf dem Rathausvorplatz in Bruchsal ist zu besichtigen, was sich der FDP-Vorsitzende unter Veranstaltungen vorstellt, deren Ziel es sein soll, „Menschen für Politik zu interessieren, die sonst nie zu Parteiveranstaltungen kommen“: Ein örtlicher Sportverein spielt Volleyball gegen Westerwelle und seine Wahlkampfhelfer. Bei 30 Grad im Schatten. Länger als eine halbe Stunde dauern die beiden Spiele. Westerwelle tritt mit Sonnenbrille auf, in kurzer brauner Hose und einem blauen T-Shirt, auf dem in leuchtend gelber Farbe der Campingbus – das „Guidomobil“ – aufgedruckt ist. Und er lächelt. Die ganze Zeit, während er zugleich ungebrochenen Kampfesmut und brennendes Interesse zeigt: „Es steht jetzt 2 : 2, oder?“ – „Und jetzt! Rüber!“ – „Zählt ihr auch?“ Nein, das kann man nicht lernen. Dafür muss man geboren sein.
„Es gibt viele Kollegen und Journalisten, die rümpfen die Nase über diese Art von Wahlkampf“, meint Westerwelle. Das sei der Grund, warum sich immer mehr Menschen von der Politik abwendeten. Man müsse auf die Leute zugehen. Es genüge eben nicht, nur „aus den getönten Scheiben einer Limousine“ heraus dem Volke zuzuwinken. Nun sind die Wahlkampfveranstaltungen konkurrierender Parteien damit nicht besonders treffend beschrieben. Aber dennoch ist diese Bemerkung häufig gedruckt worden, die zum Standardrepertoire des FDP-Vorsitzenden gehört. Sie ist prägnant formuliert, und sie bedient Ressentiments. Das reicht.
Beginnt hier der Populismus? Oder hat die Bemerkung ihre eigene Berechtigung? Schließlich schrumpft die wachsende Distanz eines großen Teils der politischen Klasse zur Bevölkerung ja nicht schon deshalb, weil alle Politiker in Wahlkampfzeiten um Stimmen werben. Oder muss man gar nicht so genau analysieren, was der Chef einer Spaßpartei so vor sich hin redet?
Alexandra Beust wird ärgerlich, wenn sie den Ausdruck „Spaßpartei“ hört. „Ich finde das anmaßend. Genauso wie ich es anmaßend finde, wenn man meine Generation als Spaßgeneration bezeichnet und die Gesellschaft als Spaßgesellschaft.“ Die 22-Jährige studiert Betriebswirtschaft in Heidelberg, hat bereits im Ausland gearbeitet und ist an diesem Tag zum ersten Mal in ihrem Leben auf eine Parteiveranstaltung gegangen. Sie gehört zu denjenigen, in denen Westerwelle die künftige Elite des Landes sieht, genau wie der gleichaltrige Student Thomas Prexl und der 27-jährige Wirtschaftsingenieur Andreas Schmitt. Alle drei halten die Liberalen für erfrischend, modern und aufgeschlossen. „Die Generation zwischen 20 und 30 wird von der FDP besonders angesprochen“, meint Alexandra Beust. Das dürften die Grünen ungern hören.
Der Augenschein gibt der jungen Frau Recht. Hunderte von jungen Leuten sind an einem strahlend sonnigen Samstagabend zur Disco „Nachtschicht“ gekommen – und der Applaus, den Westerwelle dort für seine fünf Minuten lange Ansprache erntet, beweist, dass sie nicht nur deshalb hier sind, weil das Lokal zu den beliebtesten in Heidelberg zählt. Andreas Schmitt wollte nach der Kontroverse über die antisemitisch gefärbten Äußerungen des FDP-Vizes Jürgen Möllemann die Partei eigentlich nicht mehr wählen. Sondern die CDU. Aber seit er gerade gehört hat, wie Guido Westerwelle niedrigere Steuern und zugleich höhere Investitionen in die Bildung gefordert hat, ist er wieder „unentschlossen“. Er findet das überzeugend.
Es ist gerade mal ein paar Wochen her, dass der ewige Überraschungssieger Westerwelle auf einen Schlag entzaubert zu sein schien. Unschlüssig und blass wirkte er neben seinem Stellvertreter Möllemann, zu schwach, um diesem Einhalt zu gebieten. Aber während in Berlins politischen Zirkeln die Vorgänge nach wie vor für das Waterloo des Spitzenpolitikers gehalten werden, scheint die Öffentlichkeit andernorts dem FDP-Vorsitzenden nichts nachzutragen. Nicht einmal in Karlsruhe spielt das Thema eine Rolle, obwohl dort Demonstranten den Wahlkämpfer lange daran hindern, sich Gehör zu verschaffen.
Die Gegner von Westerwelle haben sich einiges einfallen lassen. Sie druckten T-Shirts mit der Aufschrift 1,8 – weil das, wie der Student Roger Huckle meint, ein der FDP „angemessenes Ergebnis“ wäre. Seine Freunde halten unterdessen selbst gebastelte Schilder hoch, die vom Design her an die echte Wahlwerbung der FDP erinnern und den Vorwurf der sozialen Kälte erheben: „Wir haben genug Geld – die Partei der Besserverdienenden“. Oder „Eure Armut kotzt uns an“. Warum wird die Frage nach Antisemitismus hier nicht gestellt? „Ich weiß nicht,“ sagt einer der Demonstranten. „Ich glaube, wir haben auch dazu ein Plakat. Wo ist es denn?“ Unauffindbar.
Westerwelle sagt später, dass ihn das nicht überrasche. Allzu unglaubwürdig sei eben der Versuch, der FDP eine antisemitische Position zu unterstellen. Ohnehin behauptet er, die Demonstranten und ihre Sprechchöre für „bestellt“ zu halten. Von der politischen Konkurrenz. Was ja wieder einmal nur beweise, wie sehr sich die Rivalen vor der FDP fürchteten.
Guido Westerwelle würde vermutlich auch einen Wolkenbruch noch zur Wahlkampfhilfe für die FDP erklären und manche Leute davon überzeugen, dass Petrus den Regen genau deshalb geschickt habe. Einem Mann, der es geschafft hat, fast allen deutschen Medien das „Guidomobil“ als einen originellen Einfall zu verkaufen – dem ist nichts unmöglich.
Andere fahren per Reisebus oder auf dem Schiff in den Wahlkampf. Aber nur Westerwelle bringt es seit Wochen fertig, einen Satz beständig zu wiederholen, bei dem andere sich irgendwann ein bisschen blöd vorkämen: „Ich sage Ihnen voraus: Das Guidomobil wird Kult.“ Wenn eine Behauptung oft genug aufgestellt worden ist, dann wird sie irgendwann geglaubt. Deshalb wird über den 11,50 Meter langen, leuchtend gelben Campingbus mit der blauen Aufschrift ausführlicher berichtet als über andere Fahrzeuge, und deshalb wollen auch die Leute an den verschiedenen Stationen immer wieder gerne hineinschauen. Sie sehen eine rustikale Einbauküche, blaue Polstermöbel, gelbe Kissen, blaugelbe Thermoskannen und blaugelbe Lampen mit Troddeln. Die Innenaustattung hat nicht Guido Westerwelle entworfen, wie er sagt. Es gibt Parteiloyalität. Aber offenbar doch eine Grenze der Selbstverleugnung.
Der 40-Jährige kennt die Gesetze der Mediengesellschaft wie kaum ein anderer. Sein Wahlkampf ist ein Widerspruch in sich – und er funktioniert genau deshalb. Während der FDP-Vorsitzende behauptet, als einziger Spitzenpolitiker mit dem Volk wirklich „ins Gespräch“ kommen zu wollen, ist er zugleich der einzige, der offenbar bereits seine bloße Präsenz für ein beglückendes Erlebnis hält. Die anderen machen sich wenigstens noch die Mühe, Reden zu halten und öffentliche Diskussionen zu führen. Westerwelle spricht ein paar Minuten ins Mikrofon, plaudert dann – unhörbar für alle anderen – mit ein paar Leuten, unterschreibt Autogrammkarten und fährt wieder weg. Seine Wahlkampfhelfer haben unterdessen Frisbee-Scheiben und Aufkleber verteilt, vor allem an dankbare kindliche Abnehmer.
„Er sieht wirklich genauso aus wie im Fernsehen“, ruft ein junger Mann am Baggersee in Weingarten seinen Freunden zu. Stimmt. Das gilt übrigens auch für Fußballspieler und Popstars. Aber da die sich selten hierher verirren, ist auch Westerwelle recht faszinierend.
Nicht alle, die kommen, sind Anhänger der FDP. „Solche Veranstaltungen sind doch einfach nur Rituale“, meint der Angestellte Kurt David. Der pensionierte Beamte Bernd Hein sagt es noch kürzer: „Kasperletheater.“ Na und? Selbst wenn die FDP ihr illusionär hohes Wahlziel erreichte, bedeutete das immer noch, dass 82 Prozent der Bevölkerung sie nicht gewählt hätten. Vor diesem Hintergrund ist es ein Erfolg, wenn sich an einem sonnigen Samstagnachmittag ein paar hundert Leute die Zeit nehmen, Guido Westerwelle anzuschauen.
Es gibt allerdings auch wirklich vernichtende Kommentare. „Ich finde es nicht schlecht, dass er sich so volksnah gibt“, meint ein 34-jähriger Installateur am Baggersee. „Aber es kommt halt drauf an, wie lange er bleibt. Der Letzte, der da war, hat sich schon nach zehn oder fünfzehn Minuten wieder verpfiffen.“ In diesem Augenblick gibt Westerwelle das Signal zum Aufbruch. Hätte er den Mann gehört – er wäre wohl verzweifelt. Nicht wegen der Zeitvorgabe, so etwas ist hinzukriegen. Aber war wirklich schon einmal ein Politiker vor ihm am Baggersee? Ja. Der 62-jährige Ministerpräsident Erwin Teufel. Vor zwei Jahren.
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