Der Sprung vom sinkenden Schiff

Die jüngsten Rücktritte zeigen, wie sehr Israels Arbeitspartei wegen der Koalition mit Scharon in der Krise steckt. Sollte die Rechte sich durchsetzen, dürfte davon eine neue sozialdemokratische Gruppierung profitieren

JERUSALEM taz ■ Die Kluft zwischen Regierungschef Ariel Scharon und seinem Außenminister Schimon Peres geht so tief, dass die Rechtfertigungen der Minister der Arbeitspartei, warum sie die Regierung nicht verlassen, zunehmend unglaubwürdiger werden. In einem Interview mit dem Spiegel zweifelt Peres an, ob mit Scharon eine Wiederaufnahme des Friedensprozesses möglich sei. Doch solange sein Einfluss reiche, „Schlimmeres zu verhindern“, will Peres seinen Posten nicht verlassen. „Ohne mich gäbe es keine Gespräche mit den Palästinensern.“ Mit ihm einig ist Verteidigungsminister Benjamin Ben-Elieser, Vorsitzender der Arbeitspartei. Beide stehen unter zunehmendem Druck der Genossen, die Regierung endlich zu verlassen.

Den Verteidigungsminister traf es persönlich, als seine Vertreterin Dalia Rabin-Philosoph ihren Rücktritt einreichte, um sich künftig ganz dem Vermächtnis ihres Vaters zu widmen. Die Regierung setze alles daran, den von dem ermordeten Expremierminister Jitzhak Rabin eingeschlagenen Friedensweg kaputt zu machen. „Ich kann das mit meinem Gewissen nicht länger vereinbaren“, begründete sie das freiwillige Ende ihrer Amtszeit. In der gleichen Woche unterbreitete Industrie- und Handelsministerin Dalia Jitzhik dem Außenminister ihren Wunsch auf berufliche Veränderung. Ende des Jahres wird der Posten des Botschafters in London frei. Den möchte sie haben. Offiziell treiben sie keine politisch-ideologischen Gründe an. Sie sei erschöpft und bedürfe einer Auszeit, begründeten ihre Sprecher. Sie verlässt das sinkende Schiff, kommentierten hingegen israelische Zeitungen.

Aus Karrieregründen ist es für Jitzhik sicher klüger, abzuwarten, bis die neue Parteiführung feststeht, anstatt auf das falsche Pferd zu setzen. Mitte November sollen die Kandidaten für die nächsten Wahlen festgelegt werden. Parteichef Ben-Elieser wird dann vermutlich dem Abgeordneten Chaim Ramon gegenüberstehen, ehemals Gesundheitsminister und Gewerkschaftsvorsitzender, der seit Jahren Ambitionen auf das höchste Regierungsamt hegt und aus dem linken Lager der Fraktion kommt. Noch immer mächtig innerhalb seiner Partei, wenngleich derzeit ohne Pläne, selbst anzutreten, ist Parlamentspräsident Abraham Burg. Bei den letzten parteiinternen Wahlen verlor er nur knapp gegen Ben-Elieser.

Der Ausgang der so genannten Primaries im November hängt entscheidend an Burg. Er würde sich hinter Ben-Elieser stellen, verspricht er, vorausgesetzt, der Verteidigungsminister verlässt bis zum 15. August die Regierung. An diesem Tag will sich der Abgeordnete und ehemalige Außenminister Schlomo Ben-Ami aus der Knesset verabschieden. „Wir haben noch gut ein Jahr bis zu den Parlamentswahlen“, begründete sein Sprecher. „Mit jedem Tag, den wir noch länger in der Regierung sitzen, verliert die Partei an Identität und Gesicht.“

Ben-Ami hatte stets gegen eine Koalition mit Scharon plädiert. Er lehnte das Angebot eines Ministerpostens ab. Zusammen mit anderen Politikern des linken Parteiflügels wird er sich, vorausgesetzt, Ben-Elieser wird als Vorsitzender bestätigt, wahrscheinlich einer sich derzeit in der Gründung befindenden neuen sozialdemokratischen Partei anschließen. Mit von der Partie ist die linke Meretz sowie die Kleinpartei von Roman Bronfman, „Demokratische Wahl“. Geplant ist zunächst eine gemeinsame Liste mehrerer Parteien.

„Mit den Mitgliedern der Arbeitspartei wird es sicher leichter gehen“, meint Bronfman. Aber auch, wenn sich das linke Lager bei den Primaries durchsetzt, soll die Liste bis Ende des Jahres formiert werden. „Das Land braucht etwas Neues“, meint Bronfman. Die derzeit größte Oppositionspartei hat keine zehn Sitze im Parlament. Außenpolitisch bestünden unter den Programmschreibern keine Differenzen. Die Liste verfolgt eine möglichst schnelle Friedenslösung auf der Basis der Verhandlungen in Camp David und Taba. Offen bleibt, ob es eine erklärtermaßen zionistische Partei werden wird. „Ich persönlich tendiere dazu, dass wir kein jüdisch-demokratisches Land sein sollten, sondern ein demokratisches, in dem das Judentum eine eher symbolische Rolle einnimmt.“ Ohne die Partnerschaft mit den arabischen Staatsbürgern „wird es nicht gehen“, meint Bronfman. SUSANNE KNAUL