: Mit „Schnellläufern“ zur modernen Schule
Bremer Schulreform auf leisen Sohlen: Über 20 Prozent der Gymnasial-Kinder gehen in „Schnellläufer“-Klassen. Das ist gegen das Schulgesetz. Bildungsbehörde: Wir müssen zu modernen Lernformen kommen – für alle
Wenn am Donnerstag das neue Schuljahr beginnt, werden nach dem bremischen Schulgesetz alle Kinder des 5. Jahrgangs „gemeinsam“ (§ 19 Schulgesetz) unterrichtet – Leistungsdifferenzierung darf es in der „Orientierungsstufe“ (5. und 6. Klasse) so wenig geben wie in der Grundschule. In Wirklichkeit gehen aber in Bremen mehr als 20 Prozent der Kinder, die später einmal den gymnasialen Bildungsweg einschlagen werden, schon in so genannte „Schnellläuferklassen“ – 360 von ca. 1.700. In allen Stadtteilen, so das Ziel des Bildungssenators, sollten leistungsstarke Schüler das Angebot haben, nach insgesamt zwölf Jahren Schulzeit das Abi zu machen. „Bremer Modell“ ist inzwischen, dass solche guten Schüler in besonderen fünften Klassen mit dem Ziel unterrichtet werden, die 6. Klasse zu überspringen.
„Das ist in der Struktur schmerzhaft“, sagt der zuständige „Stufenleiter Sekundarstufe 1“ beim Bildungssenator, Walter Henschen, denn es „entmischt die Orientierungsstufe“. Aber es entspricht dem Wunsch vieler Eltern. Und es entspricht pädagogischen Erfahrungen. Doris Wunderlich, die Leiterin der Orientierungsstufe im Schulzentrum Lerchenstraße: „Wir können jetzt der Vielzahl der Begabungen gerecht werden“, sagt sie. Die lernstarken Schüler können von Anfang an in die gymnasiale Klasse gehen, auch für Lernschwache wird eine besondere Klasse angeboten – mit weniger SchülerInnen, einem „Bezugslehrer“ als stabiler Ansprechperson und zusätzlichen Förderangeboten.
Auch am Schulzentrum Obervieland wird im Jahrgang 5 neben einer gymnasialen „Schnellläuferklasse“ eine für lernschwache Kinder eingerichtet, die zusätzlich von den sozialpädagogischen Fachkräften der Sonderschule („Förderzentrum“) betreut wird. Neben Obervieland werden die Schulzentren Julius-Brecht-Allee und Rockwinkel in diesem Schuljahr mit je einer Schnellläuferklasse beginnen.
Moderne Lernformen – nur für Schnellläufer?
Das Schulzentrum Findorff ist ein Jahr weiter. In der Vorbereitung auf den Sprung wurde nicht der Stoff der 6. Klasse vorgezogen, sondern es wurde mehr Wert auf „selbstständiges Lernen“ gelegt, sagt Schulleiter Peter Lankenau. Die Schüler mussten eigenständiges Arbeiten lernen. Wer das kann, so der Schulleiter, dem sei auch zuzutrauen, dass er den Schulstoff schneller lerne als andere.
Auch Oberschulrat Henschen betont, dass es bei dem „Bremer Modell“ darum geht, für die Schnellläufer „schneller zu modernen Lernformen“ zu kommen. Das soll den anderen Schülern später auch zugute kommen– „zwölf Jahre bis zum Abitur“ wird kommen, das ist für den Behördenvertreter nur eine Frage der Zeit.
In Baden-Württemberg etwa ist die Verkürzung ab dem Schuljahr 2004/5 beschlossen. Dort gibt es nicht die Bremer „Stufenzentren“, es muss nicht ein Jahr von sechs Schuljahren „gespart“ werden (in der Sekundarstufe 1), sondern eines von neun Schuljahren des Gymnasiums.
Schulen wie das Kippenberg- oder das Alte Gymnasium haben das Bremer Strukturproblem nicht. Vier von fünf Klassen am Kippenberg rechnen zu den Schnellläufern. Am Alten Gymnasium hat die Hälfte der Eltern erklärt, sie wollten für ihre Kinder keine Verkürzung der Schulzeit. Aber, sagt die zuständige Lehrerin Elfriede Albler, die beiden 5. Klassen seien so leistungsstark im Vergleich zu „normalen“ Klassen der Orientierungsstufe, dass die „Schnellläufer“ nur für ein paar Stunden Latein aus der gemeinsamen Klasse hinausgehen – ansonsten aber gemeinsam weiter lernen, die einen als „6. Klasse“, die anderen als „7. Klasse“.
K.W.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen