Meine erste Leica

Der Stadtraum in seiner geschäftigen Form: Die ersten Fotos, die George Grosz bei seinem Aufenthalt in „New York 1932“ schoss, bevor er dorthin emigrierte, sind bei DaimlerChrysler Contemporary im Haus Huth am Potsdamer Platz zu sehen

von BRIGITTE WERNEBURG

Als die Leica 1925 auf dem Markt kam, wurde sie richtungweisend für die gesamte weitere Entwicklung der Kleinbildfotografie, die wiederum die Fotografie im 20. Jahrhundert insgesamt revolutionierte. Das Erscheinen der Leica darf mit dem Aufkommen des PCs Ende der 70er-Jahre verglichen werden, denn wie der PC wurde sie nicht von professionellen Anwendern gekauft: Ambitionierte Amateure, Studenten, die mit ihr zu Fotoreportern wurden, aber auch Künstler und Fotografen, die die kleine praktische Kamera einmal auf einer Reise ausprobierten, waren ihre Entdecker.

Auch George Grosz gehört in diese Reihe. Nachdem er am 26. 4. 1932 telegrafisch eine Einladung an die Art Students League of New York erhalten hatte und zusagte, an der renommierten privaten Kunstschule einen Sommerkurs zu halten, wurde auch er stolzer Besitzer einer Leica. Allem Anschein nach war sie seine erste Kamera.

Grosz machte mit ihr vom ersten Film an ansehnliche Bilder, das belegt zur Zeit die Ausstellung „George Grosz – New York 1932“ bei DaimlerChrysler Contemporary. Zum ersten Mal wurden zehn seiner Reisefotos 1977 veröffentlicht. Doch es dauerte noch mehr als 20 Jahre, bis die rund 200 Kontaktabzüge sowie einige Vergrößerungen, die teilweise von Grosz selbst beschriftet waren, bei dessen Nachlassverwalter Ralph Jentsch auftauchten. Die Negative allerdings sind bis heute verschwunden. Trotzdem gelang es, von den Kontaktabzügen digitalisierte Negative herzustellen, von denen wiederum Handabzüge gefertigt werden konnten. Sechzig dieser Prints sind bei DaimlerChrysler zu sehen.

Auffällig an den Fotos, die Grosz an Bord der „New York“ macht, ist die Reduktion der Motive. Der Bildraum erscheint geradezu leer, bei gleichzeitig klarer Betonung der Bildachsen, Diagonalen, Horizontalen und Vertikalen. Neben seinen Mitreisenden und deren sportlichen Vergnügungen an Bord interessiert ihn die Schiffsmannschaft und die Schiffstechnik, etwa „Sendemast und Takelage der New York“. Auch in den Fotografien der Stadt selbst, die er sämtlich am Tag seiner Ankunft – dem 4. Juni – aufnimmt, sieht New York recht aufgeräumt aus. Zwar finden sich viele Schnappschüsse unter diesen Bildern und auch einige Bewegungsunschärfe, entweder weil sich der Fotograf an den Objekten vorbeibewegt – oder umgekehrt Autos und Passanten an ihm. Den Eindruck ziellosen Knipsens hat man jedoch nie.

Gleichzeitig interessiert ihn reine Stadtarchitektur augenscheinlich nicht: Er sucht den Stadtraum in seiner geschäftigen Form, an wenig spektakulären Ecken auf. Und damit stehen seine Aufnahmen den bekannten Fotografien, die der Architekt Erich Mendelsohn acht Jahre zuvor in New York aufgenommen hatte, diametral entgegen. Der Leica-Technik entsprechend fotografiert Grosz auch oft in Serien, etwa bei der „Ankunft des Reporterboots“. Das Boot kam seinetwegen, denn Grosz’ Berufung hatte an der Schule einen Skandal und in der Presse eine große Debatte ausgelöst. Grund war das Gerücht, Grosz sei Kommunist. Doch nachdem die Reporter ihn in Augenschein genommen hatten, überschrieb das Time Magazine seinen Beitrag zu Grosz mit „Mild Monster“. Selbst seine Kleidung wurde für normal befunden, als die „eines wohlhabenden Amerikaners bei einem Baseballspiel“.

Wohlhabend war Grosz zwar nicht. Doch er schaffte es, in Amerika genug Bilder zu verkaufen, um für sich und seine Familie die Übersiedlung in das Land, das ihn so begeisterte, zu organisieren. „In Deutschland sieht es beschissen aus … überall mostrich-Hemden … Ich glaube da nicht an eine Besserung in absehbarer Zeit“, schrieb er nach Deutschland. Diese Weitsicht bewahrte ihn vor der Verhaftung: Am 12. Januar 1933 emigrierte er mit der „Stuttgart“ nach New York; zwei Wochen später drang die Gestapo in sein Atelier ein.

Bis 15. September, tägl. 11–19 Uhr, DaimlerChrysler, Haus Huth, Alte Potsdamer Straße 5, Katalog 20 €