Der deutsche Holzweg

An dem Vorwurf, die SPD sei nur aus Wahlkampfgründen gegen einen Krieg im Irak, ist die Partei selbst schuld

aus Berlin JENS KÖNIG

„Mein Deutschland ist ein Land der Chancen“, schreibt Gerhard Schröder. „Mein Deutschland wird nicht von denen beherrscht, die das große Kapital haben.“ – „In meinem Deutschland gehören Raubtiere in den Käfig, und nicht in eine falsch verstandene Marktwirtschaft.“ – „Mein Deutschland genießt Respekt und Ansehen in der Welt.“ In der gestrigen Bild-Zeitung beschreibt der Kanzler seine Vision für Deutschland und reiht dabei eine sozialdemokratische Plattitüde an die andere. Am Ende schließt er mit seinem neuesten semantischen Renner: „Das ist unser deutscher Weg. Für diese Vision kämpfe und arbeite ich.“

Nichts hat Schröder mit seinem visionären Text geklärt. Dabei hätte gerade das Not getan. Was, verdammt noch mal, meint er bloß mit „unserem deutschen Weg“?, rätseln alle. Und warum ist es ein „deutscher Weg“, plötzlich gegen einen Irak-Krieg zu sein?

Für viele liegt die Antwort klar auf der Hand: Schröder versucht verzweifelt, im Wahlkampf mit linksnationalen Parolen Punkte zu machen. Dafür riskiert er in der Irak-Frage sogar einen deutschen Sonderweg.

Im Kanzleramt und in der SPD fühlen sie sich damit natürlich missverstanden. Die Formel vom „deutschen Weg“ beschreibe den Versuch, dem Neoliberalismus eine eigene, sozialdemokratische Idee entgegenzusetzen. Sie sei zuallerst innen- und wirtschaftspolitisch gemeint: Erhalt des Sozialstaates, Absage an einen Pleite-Kapitalismus, Ausgleich zwischen Kapital und Arbeit.

Außenpolitisch will Schröder diese Eigenständigkeit demnach nur dort herausgehoben wissen, wo der innere Wohlstand gefährdet wird. Daher ist er gegen „militärische Abenteuer“. Das bedeutet für ihn jedoch noch lange keine generelle Kritik an der US-Außenpolitik – und schon gar keinen deutschen Sonderweg.

Dahinter steckt mehr als eine Re-Lafontainisierung der SPD. Mit dem „deutschen Weg“ versucht Schröder, dem seltsam unpolitischen Bundestagswahlkampf doch noch eine Richtung zu geben. Er will ihn politisieren, so dass am Ende etwas auf dem Spiel steht: Wollt ihr Schröder mit dem Konzept oder Stoiber ohne Konzept? Aber keiner muss den Kanzler bemitleiden, nur weil er sich auf seinem „deutschen Weg“ falsch verstanden fühlt. Der Begriff lädt zu falschen Assoziationen geradezu ein. Deutsche Wege endeten in der Geschichte oft in Sackgassen oder nationalistischen Sonderwegen. Und an dem aktuellen Kurzschluss „deutscher Weg gleich Absage an einen Irak-Krieg gleich Wahlkampf“ ist Schröder selbst schuld.

Er selbst war es schließlich, der nach einer SPD-Krisensitzung am 1. August völlig überraschend davon sprach, dass die Kriegsgefahr im Irak zu einem wichtigen Wahlkampfthema werde. Zur weiteren Verwirrung trug SPD-Generalsekretär Franz Müntefering bei, als er einen Tag später sagte, seine Partei müsse auch in der Irak-Frage „ihren eigenen deutschen Weg“ gehen. Damit war allerdings ein Kalkül verbunden. Schröder wollte endlich mal ein Thema setzen und Stoiber in die Defensive drängen.

Doch schon vier Tage später, beim SPD-Wahlkampfauftakt, tat der Kanzler ganz beleidigt, weil ihm alle genau dieses Kalkül vorwarfen. „Der Irak steht nicht auf der Tagesordnung, weil uns das eingefallen ist“, so Schröder, „sondern weil der Zeitplan dies diktiert.“ Er führte den Nato-Gipfel am 23. September an, auf dem Entscheidungen zum Irak fallen sollen.

Natürlich hat Schröder damit recht. Der Zeitpunkt der klaren öffentlichen Positionierung der SPD hat außenpolitische Gründe; aber eben nicht nur. Die Anhörung im US-Senat Ende Juli hat gezeigt, dass in Washington die Zahl derer zunimmt, die einen Einmarsch im Irak nur mit Unterstüzung der Verbündeten für sinnvoll hält. Die Europäer aber – mit Ausnahme von Großbritannien – sind gegen einen Krieg im Irak. Das klare Nein von Schröder, so heißt es im Kanzleramt, sei auch als ein Signal an die gemäßigteren Kräfte in Washington und an London gedacht. Die Europäer hoffen, Bushs Pläne noch stoppen zu können.

Bisher war Schröders Haltung nicht eindeutig. Einem Irak-Krieg stand er immer spektisch gegenüber, wollte sich aber alle Optionen offen halten. In internen Gesprächen hatte er bereits im März versichert, Deutschland werde sich an einem Angriff gegen Saddam Hussein nicht beteiligen. Gleichzeitig machte er deutlich, dass die in Kuwait stationierten ABC-Spürpanzer der Bundeswehr im Kriegsfalle dort verbleiben und eingesetzt würden. Jetzt hat er, und mit ihm die SPD, sich öffentlich positioniert. Aber über einen Abzug der Spürpanzer aus Kuwait mag er immer noch nicht reden.

Der eskalierende Nahostkonflikt, die ungeklärte Zukunft des Irak nach einem Sturz Saddams, das Fehlen jedes Beweises für eine Verbindung des Iraks mit den Al-Qaida-Terroristen, die fehlende völkerrechtliche Legitimation – all das hat Schröder in seiner Ablehnung bestärkt. Und der Wahlkampf in Deutschland kam ihm da gerade recht. Schröder hat die Gelegenheit so schnell gepackt, dass sogar die eigenen Genossen nichts mitbekamen. „Dass der Irak plötzlich zum dominanten Wahlkampfthema wird, hat uns überrascht“, sagt einer aus der SPD-Fraktionsspitze. „Uns alle hier.“