verbraucherministerin künast zieht bilanz
: Zum Glück sind bald Wahlen

Der BSE-Skandal war ein Glück: Seit der Rinderwahnsinn die Regierung beschäftigte, ist Essen endlich ein Politikum. Die Bilder brennender Kälberkörper haben auch dem letzten Verbraucher klar gemacht: scheußlich ist das. Und grausam. Daraus ergab sich die einmalige Gelegenheit, Fleischvernichtung mit Natürlichkeit und Sanftheit zu konterkarieren. Und daraus entstand die Chance, die gesamte Agrarpolitik neu auszurichten. Mit Renate Künast als Verbraucherministerin änderte sich nicht nur der Zuschnitt des Landwirtschaftsressorts. Es kamen auch Visionen auf den Tisch: 20 Prozent Ökoanbaufläche in zehn Jahren.

Gestern zog Ministerin Künast nun ihre Bilanz. Und die kann sich sehen lassen. Auf der Bauernseite: Legehennenverordnung, ein effektives Bundesprogramm zur Förderung des Ökolandbaus und 20 Prozent mehr Ökoanbaufläche in zwei Jahren. Auf der Verbraucherseite: Biosiegel, die Neuregelung des gesundheitlichen Verbraucherschutzes und ein – bisher an der Union gescheitertes – Verbraucherinformationsgesetz. Dazu kommt der Druck auf Brüssel, den Künast nach einigen Anlaufschwierigkeiten erfolgreich zu entfachen wusste. Fest steht: Ohne die grüne Bundesverbraucherministerin sähe die Agrarreform in der Europäischen Union anders aus.

In nur 20 Monaten politischer Verantwortung hat Renate Künast viel erreicht. Trotzdem musste sich die Bundesverbraucherministerin bei den letzten Lebensmittelskandalen viel Kritik gefallen lassen. Was nicht ohne Wirkung blieb: War Künast am Anfang ihrer Amtszeit noch Deutschlands beliebteste Politikerin, so fiel sie im Laufe der Zeit auf Platz sieben zurück. Hinter Angela Merkel oder Wolfgang Schäuble.

Dabei war der Zeitpunkt des Nitrofenskandals auch ein Glück. Es zeigte sich nämlich: Zu schnelles Wachstum führt zu Wucherungen. Es kommt nicht auf das Tempo an, mit dem der Bioanteil größer wird – notwendig ist vielmehr kontrollierte Offensive. Es reicht nicht aus, Ökolandbau einerseits zu subventionieren und andererseits die Verbrauchernachfrage anzukurbeln. Zwischen beidem steht die Lebensmittelwirtschaft. Und auf die hat jeder Landwirtschaftsminister nur durch effektive Kontrolle Zugriff. Das schützt zwar nicht vor schwarzen Schafen, schafft aber das Vertrauen, das zur Agrarwende nötig ist.

Zum Glück sind in sechs Wochen Bundestagswahlen. Damit haben die Bürger die Möglichkeit zu entscheiden, ob die Agrarwende in Gang kommt oder stirbt. Bekommt Rot-Grün eine zweite Chance, dann wird die Verbraucherministerin stark genug sein, nun auch gegen die konventionelle Agrarmaschinerie vorzugehen. Werden die Grünen und ihre Koalition abgewählt, dann geht Zeit verloren. Die notwendige Agrarwende muss dann warten. Auf den nächsten BSE-Skandal. NICK REIMER

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