: Hei ho, hei ho, vergnügt und froh
Diesmal war alles anders. Die Einladungen in die Sommerfrische blieben aus, alle Jobs waren zeitgleich zu Ende und Auto, Fernseher und Waschmaschine beschlossen, gemeinsam zu sterben. Was tun? Es blieb nur Urlaub in Berlin. Eine Geschichte
von SARAH SCHMIDT
Genau wie abertausende andere Leute möchte ich zwischen Juni und August verreisen. Was ich auf keinen Fall kann, ist im November in Reisebüros gehen und mich spätestens Mitte Dezember für einen Urlaub anmelden. Was leider auch nicht meine Sache ist, ist das Sparen. Ich hoffe eher auf plötzlichen Geldsegen, Einladungen oder sonstige Quellen, um die Sommerfrische zu finanzieren. Bisher hat das auch immer geklappt. Nur diesmal, da war das plötzlich ganz anders.
Just in dem Moment, in dem ich dachte: „Mensch Sarah, jetzt aber unbedingt in Urlaub fahren!“, versiegten jegliche Einnahmen. Alle Jobs waren zeitgleich zu Ende, neue nicht in Sicht, dafür beschlossen Auto, Fernseher und Waschmaschine, gemeinsam zu sterben. 2 Wochen lang hatte ich verdammt schlechte Laune, auch Selbstmitleid, mir war langweilig, es war einfach schlimm.
Dann war klar: „So geht das nicht mehr weiter. Ich mach jetzt Urlaub in Berlin.“ Ich rief meinen Freund an, der muss mit, denn Urlaub alleine ist blöd.
„Los, wir machen jetzt lauter Sachen, die wir sonst nie machen!“
„Ja super, Sex!“
„Nix da, ich meine was Schönes!“
Wir treffen uns und besprechen die Urlaubsplanung.
„Komm wir gehen tanzen – in die Eierschale. Podbielskiallee, Dahlem.“
„Au ja, da war ich noch nie.“
Am Ferienort angekommen, holten wir uns zuerst ein Bier.
„3,50 für Schultheiss!“
„So ist das halt im Urlaub, ist immer alles teurer als zu Hause.“
Wir setzen uns an wacklige Bierhocker und staunen uns durch die Gegend.
Ich wusste nicht, das Berlin noch so ’ne richtige Kleinstadtdisco hat. Früher gab’s das „Riverboat“ und das „Big Apple“, das war so ähnlich wie hier. Der Laden ist gerammelt voll mit Männern um die 40, die kleine Kringellöckchen haben und Mokassins tragen. Mokassins!! Die Frauen sind alle schick gemacht, auf eine Art, die ich nie schaffe. Sauber und gepflegt, mit gebügelten Jeans und Oberbekleidung, durch die man durchgucken kann und dann aber doch nicht, weil sie irgendwas darunter tragen. Viele Frauen stehen in Vierergruppen rum und trinken Mischgetränke. Ist ja auch gar nichts gegen zu sagen. Eigentlich. Andererseits steht in fast allen Gesichtern geschrieben: „Und nachher noch schön ficken gehen.“ Nur wen?
Heute Abend gibt es Livemusik.
Auf die Bühne treten 5 Jungs in weißen Rüschenhemden. Alle sehen sehr krank aus. Der Bandleader schreit uns an, das alles ganz toll ist und wir jetzt rhythmisch klatschen und schreien müssen, denn jetzt spielt „Jucy Trees“.
„Was ist das denn für ein Name, ‚Saftige Bäume‘? Männlicher Größenwahn, würde ich sagen.“
Wir hören uns schlimme Lieder an. Zwischendurch schreit der Anführer immer wieder „Und jetzt alle!“ oder: „Die Frauen singen ,Hei!‘ und die Männer ,Ho!‘.“
Ich guck mir lieber weiter die komischen Menschen an.
„Frank, wenn du dir hier eine Frau aussuchen dürftest für die Nacht, aber auch müsstest, welche würdest du nehmen?“
Er muss lange überlegen, an jeder gibt es viel auszusetzen. Er entscheidet sich für ein kleines, liebes Büromäuschen.
„Die sieht aus, als würde sie wenigstens den Mund halten. Los, jetzt musst du aber auch.“
Bei den Männern ist es noch viel schwerer, finde ich. Die meisten kann ich mir sofort vorstellen, entweder so ganz liebe Streichler, die dir zum Anfang mit einem Finger über die Hand oder im Nacken streicheln. Stundenlang. Die anderen sind schwitzige Rammlertypen und die dritten werden erst mal von ihren Problemen erzählen. Obwohl das nicht nötig wäre, denn die sieht man ihnen aus 30 Meter Entfernung an. Ich entscheide mich dann für den Einzigen, der wenigstens ein bisschen halbseiden aussieht.
Hier ist mein Freund mit Abstand der interessanteste Mann. Ich bin erschöpft, ich will jetzt keinen Urlaub mehr haben, ich will nach Hause, nach Berlin zurück.
Am nächsten Morgen ist Krisensitzung.
„Was sollen wir heute machen? Wir könnten in die Thermen an der Heerstraße gehen oder auf den Funkturm.“
„Nee, keine Lust.“
„In den Reichstag, oder ich weiß, wir machen was ganz abgefahrenes, wir gehen in die Bewag-Versuchsküche, da waren wir noch nie!“
Ich finde alle Vorschläge blöd.
„Ach, mir reicht’s. Das ist ja eine widerliche Stadt, Berlin, hab ich gar nicht gewusst, ich will hier weg.“
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