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„Stalinisten! So‘ne Schlaufritzen!“

Jetzt geht‘s los: Die Bremer Bundestagskandidaten versammelten sich zum ersten Schlagabtausch. Es wurde laut und derb und spaßig. Irgendwann wollte der SPD-Kandidat von seinem langjährigen Weggefährten von der CDU nicht mehr geduzt werden: das Ende großkoalitionärer Eintönigkeit?

Als Volker Kröning von der SPD dem Kollegen Bernd Neumann und seiner CDU eine „Mischung aus Gehässigkeit und Schaumschlägerei“ vorwirft, da kocht der klimatisierte Saal im Marriott-Hotel, wo am Donnerstagabend erstmals die Riege der Bremer Bundestagskandidaten aufeinander getroffen ist. Als Neumann daraufhin den Genossen anspricht mit „Lieber Volker Kröning, ich möchte Dir eine Frage stellen“, kontert der: „Sie können mich in der Öffentlichkeit ruhig siezen.“ Worauf Neumann erneut ansetzt, „was sagen Sie zu Ihrem Kanzler“ und zu dessen einstigem Versprechen, die Arbeitslosenzahl zu senken. Als dann aber Moderator Stefan Pulß von Radio Bremen Eins erklärt, „Herr Neumann, das Thema ist nicht ganz neu“, da war die fünfte Reihe in höchster Rage. „Halt dich zurück“, zischte die Frau zu ihrem Gatten und Neumann-Fan, „halt dich bloß zurück.“

Der Abend hat Schwung. „Es ist ein bisschen chaotisch, aber ich fühle mich wohl bei Ihnen“, pflaumt der CDU-Mann in Richtung der Moderatoren Pulß und Michaela Herold von „buten un binnen“. Richtig Tempo bekommt die Runde, als Neumann den SPD-Kollegen noch duzt und erklärt: „Es ist bedauerlich – ich muss es Dir so sagen, Volker – dass Du dem Bremer Senat voll in den Rücken gefallen bist.“ Mit dem Statement nämlich, dass der berühmte Kanzlerbrief, in dem Bundeskanzler Schröder dem Bundesland Bremen einen Ausgleich für die Nachteile der Steuerreform verspricht, für einen Kanzler Stoiber bestimmt nicht mehr gelte. Ganz anders sei‘s, so Neumann, was die gemachten Zusagen angehe: „Wir sind jetzt bei dem Problem, dass Herr Eichel das bestreitet.“

War die erste Wahlkampfbegegnung von Kröning und Neumann, vollmundig noch als „Duell“ angekündigt, in großkoalitionärer Eintönigkeit versackt, so verlaufen seit Donnerstag auch in Bremen die Fronten entlang der Bundespolitik. Statt Kröning antwortet denn auch die Kandidatin der Grünen und Bundesausländerbeauftragte Marieluise Beck: „Dieser Brief gilt auch für die Zeit nach der Wahl.“ „Woll‘n wir auch hoffen“, grummelt es aus dem CDU-Fanblock mitten hinein in Becks Warnung, dass die Sympathie für das kleine Bundesland Bremen je südlicher desto geringer werde und „das mit einem Kanzler Stoiber deutlich zu spüren sein“ werde. „Was soll das!“, grölt da der Fanblock, und Neumann kontert: „Es ist doch völlig egal, ob aus Nord oder Süd, ob Mann oder Frau: Der Mann muss befähigt sein für dieses Amt.“ Ins Gelächter des ganzen Saals hinein: „Die Frau auch!“ Er sei stolz, dass „wir als einzige Partei eine Frau an der Spitze haben.“ „Wir auch“, kam es von der PDS. Und Marieluise Beck beugt sich mit einem gütigen Lächeln rüber zu Neumann, tätschelt ihm den Arm und sagt mit tiefer Stimme: „Wir auch.“

Marieluise Beck ist an diesem Abend die Souveräne. Auch wenn ihr Hauptargument, mehr umweltbewusstes Handeln schaffe auch mehr Arbeitsplätze nicht wirklich zieht. Als die Moderatoren sie fragen, warum im Grünen-Wahlspot nur Joschka Fischer zu sehen ist, kontert sie: „Was Sie da vorschlagen, nämlich aus unserem Programm vorzulesen, ist das Zwei-Prozent-Modell. So blöd sind wir nicht.“

Volker Kröning von der SPD ist der Genaue, der Finanzfreak. Auch wenn das Publikum seinem Lieblingsscharmützel mit CDU-Neumann über Kanzlerbrief und Zustimmung zur Steuerreform und Zukunft des Länderfinanzausgleichs nicht bis ins Detail folgt, schafft er punktuell Volksnähe, beispielsweise indem er Stoiber einen „finanzpolitischem Geisterfahrer“ nennt.

Dann sind da noch die kleinen Parteien. Claus Jäger von der FDP verwahrt sich gegen den Kollegen Möllemann und dessen Idee, die Anzahl der Bundesländer zu reduzieren. Am besten gehe das, „wenn Sie mich in den Bundestag entsenden.“ Er lächelt, ein bisschen schelmisch.

Das Augenzwinkern ist der Kandidatin von der PDS, Heike Hey, gleich zu Beginn vergangen, als Stefan Pulß sie vorstellt mit der „mehr theoretischen Chance, das wissen wir natürlich alle“, in den Bundestag einzuziehen. Ihr geraten die Sätze nicht so flüssig wie den anderen Kandidaten und angesprochen darauf, ob sie ohne Gregor Gysi Chancen habe, sagt sie: „Ich seh‘ ja nicht aus wie Gysi.“ Gut sei‘s, dass der zurückgetreten sei und: „Er hat ja auch auf Gelder verzichtet.“ Auf das mitleidige „Oh!“ aus dem CDU-Fanblock schnauzt ein Mann aus der dritten Reihe nach hinten: „Das müssen von der CDU erstmal einige nachmachen.“ Worauf es zurückranzt: „Stalinisten! So‘ne Schlaufritzen!“

Das letzte Wort behält Bernd Neumann. Mit Blick auf die Ampel, die den Kandidaten ihre abgelaufene Redezeit signalisieren soll, erklärt er: „Die Ampel hat hier und auch bei den Regierenden nicht geklappt.“ sgi

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