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Die Niederlage des Finanzministers

Trotz aller Bemühungen wird Hans Eichel das Ziel seiner Sparpolitik, ein Defizit von drei Prozent, wohl verfehlen

BERLIN taz ■ Einer unangenehmen Veranstaltung muss SPD-Bundesfinanzminister Hans Eichel in der kommenden Woche beiwohnen. Mit einiger Berechtigung wird ihm die Opposition anlässlich der ersten Lesung seinen Haushaltsentwurf für 2003 um die Ohren hauen.

Argumente zu finden fällt den CDU-Finanzexperten Friedrich Merz und Dietrich Austermann nicht schwer: Wenn Eichel die Ziele für 2002 bereits verfehle, bestehe kein Anlass, seinen Zahlen für 2003 Glauben zu schenken.

Hans Eichel ist die „personifizierte Haushaltssanierung“, wie Außenminister Joschka Fischer (Grüne) unlängst bemerkte. Der Finanzminister steht für den finanzpolitischen Lernerfolg der deutschen Sozialdemokratie im Vergleich zu den 70er-Jahren: Sparen, weniger Staatsschulden. Doch nach dem Konjunktureinbruch des letzten Jahres bekommt Eichel das Defizit der öffentlichen Haushalte immer weniger in den Griff.

Mit großer Wahrscheinlichkeit wird es am Ende dieses Jahres die drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) übersteigen, das Ziel also, das sich die EU-Staaten im Stabilitätspakt gesetzt haben. Der Finanzminister kommt in Gefahr, wieder mehr Schulden aufzunehmen.

Eigentlich müsste Eichel seine Niederlage jetzt eingestehen, und die Europäische Kommission den blauen Brief, die offizielle Verwarnung, nach Berlin schicken. Doch vor der Bundestagswahl haben beide Seiten daran kein Interesse. Und so lautet die offizielle Lesart im Finanzministerium: In letzter Minute könnte der wirtschaftliche Aufschwung einsetzen und alles gut werden.

Die Zahlen freilich sprechen gegen diesen Optimismus: Eichel selbst hat bereits ein Defizit der öffentlichen Haushalte von 2,5 Prozent unterstellt. Bei einem deutschen Inlandsprodukt von rund zwei Billionen Euro macht das einen Fehlbetrag von etwa 50 Milliarden Euro.

Und mittlerweile reißen weitere Löcher auf. Bis zu zehn Milliarden Euro nehmen Bund, Länder und Gemeinden dieses Jahr weniger an Steuern ein. Ein Grund: Die Konzerne führen kaum noch Körperschaftssteuer ab, was unter anderem auf das schlechte Wirtschaftsjahr 2001 zurückzuführen ist. Teilweise zahlen die Finanzämter an die Unternehmen – nicht mehr umgekehrt. Zehn Milliarden Steuerausfall bedeuten rund ein halbes Prozent mehr Defizit. Addiert zu Eichels Prognose ist schon damit die magische 3-Prozent-Grenze erreicht.

Doch es geht noch weiter. Die gesetzlichen Krankenversicherungen und die Rentenkassen erwirtschaften wegen schlechter Konjunkturlage, höherer Arbeitslosigkeit und geringerer Einnahmen einen höheren Fehlbetrag von rund 5 Milliarden Euro. Umgerechnet steigt das Defizit der öffentlichen Etats auf 3,25 Prozent.

Nicht umsonst spielten die Haushaltslöcher besonders gestern eine Rolle, als die neueste Arbeitsmarktstatistik verkündet wurde. 4,02 Millionen Menschen suchen eine Erwerbsarbeit – weit mehr als erwartet. Das bedeutet, dass die Bundesanstalt für Arbeit mehr Geld aus dem Bundeshaushalt braucht. Eine Milliarde Euro zusätzliches Defizit an dieser Stelle lassen das Defizit 3,3 Prozent erreichen.

Hinzu kommen höhere Ausgaben bei den Bundesländern – auch im Bayern des Unions-Kanzlerkandidaten Edmund Stoiber (CSU). Die Länder werden ihre Sparzusagen, die sie im Frühjahr und Sommer 2002 abgegeben haben, angesichts der unerfreulichen Wirtschaftslage kaum einhalten können. Das höhere Defizit ist nicht allein ein Problem der rot-grünen Bundesregierung.

Damit ist der Worst Case, den Mitarbeiter des Bundesfinanzministeriums unlängst prognostizierten, nahezu erreicht. Sie sollen ein Defizit von bis zu 3,5 Prozent in diesem Jahr errechnet haben, was Eichel offiziell umgehend dementieren ließ. Nach der Bundestagswahl wird sich der alte oder neue Bundesfinanzminister die Zahlen zu Gemüte führen, und auch die Reaktion aus Brüssel könnte etwas anders ausfallen als zur Zeit. HANNES KOCH

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